Zentralasien Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
Reinhard Krumm
Januar 2007
Mit dem Projekt „Kompass 2020“ leistet die Friedrich-Ebert-Stiftung einen Beitrag
zu einer Debatte über Deutschlands Ziele, Rolle und Strategien in den internationalen
Beziehungen. „Kompass 2020“ begleitet mit Veranstaltungen und
Publikationen das Jahr 2007, in dem die deutsche Außenpolitik durch die EURatspräsidentschaft
und den Vorsitz bei der G8 ganz besonders im Rampenlicht
steht. In rund 30 Einzelartikeln gibt das Projekt einen Überblick über die wichtigsten
Themen und Regionen deutscher Außenbeziehungen. Diese Artikel haben
dabei alle den gleichen Aufbau: Sie informieren zunächst über die wichtigsten
Entwicklungen, die größten Herausforderungen und die zentralen Akteure in den
jeweiligen Politikfeldern und Regionen. Der zweite Abschnitt analysiert die bisherige
Rolle, die Strategien und die Wahrnehmung deutscher/europäischer Politik.
Im Kapitel „Szenarien“ werden plausible, alternative Szenarien entwickelt,
die veranschaulichen, welche Entwicklung das Politikfeld oder die Region in den
kommenden 15 Jahren nehmen könnte. Im letzten Abschnitt schließlich werden
mögliche Ansatzpunkte für die deutsche und europäische Politik formuliert.
Jochen Steinhilber
Katrien Klüver
Friedrich-Ebert-Stiftung
Referat Entwicklungspolitik
Hiroshimastraße 17
10785 Berlin
Tel. +49-30-26935-972
Fax +49-30-26935-959
kompass2020@fes.de
www.fes.de/kompass2020
ISBN 978-3-89892-614-0
© Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn/Berlin 2007
Gestaltung, Satz und Layout: Dreispringer, Berlin
Kompass 2020 | Reinhard Krumm | Zentralasien – Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
Zentralasien
Kampf um Macht, Energie
und Menschenrechte
Reinhard Krumm
1
Abstract........................................................................................................................... 2
I. Rahmenbedingungen – „Autoritäre Modernisierung“.................................................. 3
I.1 Schicksalsgemeinschaft Zentralasien....................................................................... 3
I.2 Kampf gegen den Terror.......................................................................................... 4
I.3 Zwischen Öffnung und Isolation.............................................................................. 5
I.4 Suche nach der Identität.......................................................................................... 7
II. Die Politik Deutschlands – „Stabilität an vorderster Stelle“......................................... 9
III. Szenarien – Zwischen Tauwetter und Eiszeit..............................................................11
III.1 Szenarium 1 – Frühling auf der Seidenstraße.......................................................12
III.2 Szenarium 2 – Eiszeit in Zentralasien...................................................................13
IV. Handlungsoptionen – „Wandel durch Vorbild“......................................................... 14
Kompass 2020 | Reinhard Krumm |
Zentralasien – Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
Abstract
Die fünf zentralasiatischen Republiken befinden sich nach 15 Jahren Unabhängigkeit
weiter im Prozess des Systemwandels von der sowjetischen Planwirtschaft zu einer Art
Marktwirtschaft, vom Totalitarismus zur gelenkten Demokratie. Den häufig ineffizienten
Staatsbürokratien steht dabei entweder keine aktive Zivilgesellschaft zur Seite, oder
sie ist von den Regierungen nur mit geringem Einfluss erwünscht. Vielmehr setzen die
Staaten der Region, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan,
auf eine „autoritäre Modernisierung“. Der Staat initiiert Reformen, die nicht selten dem
Machterhalt der Eliten als den Bedürfnissen des Volkes dienen.
Als einziges europäisches Land ist Deutschland in jedem Land Zentralasiens mit einem
Botschafter vertreten. Zunächst bezog sich das Interesse vornehmlich auf die Russlanddeutschen.
Seit 2001 und der Stationierung deutscher Soldaten in Usbekistan als Teil der
internationalen Streitmacht zur Befriedung Afghanistans unterstützt Deutschland den
Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Deutschland bemüht sich um eine dauerhafte
Stabilisierung. So steht es im Zentralasienkonzept der Bundesregierung aus dem
Jahr 2002.
Der politische und wirtschaftliche Wandel der Republiken Zentralasiens kann sich in Zukunft
sehr unterschiedlich entwickeln. Viele Szenarien sind denkbar, auch unterschiedliche
innerhalb der Region. Doch grob lassen sich zwei Szenarien formulieren: Entweder
die Region betreibt die in Worten häufig beschriebene demokratische Transformation
mit Nachdruck, oder die Länder erstellen eine Fassadendemokratie, die angeblich die Besonderheiten
der Mentalität und des geschichtlichen Prozesses in der Region berücksichtigen.
Tauwetter steht einer Periode der Eiszeit gegenüber. Der Kollaps einiger Staaten
ist nicht auszuschließen.
Deutschland hat Zentralasien als einen außenpolitischen Schwerpunkt während der EURatspräsidentschaft
im ersten Halbjahr 2007 gewählt. In dieser Zeit soll eine ZA-Konzeption
der EU erarbeitet werden. Darüber hinaus besteht eine Handlungsoption für die
deutsche Außenpolitik in der von Kasachstan angestrebten Präsidentschaft der OSZE.
Deutschland sollte eine Außenpolitik des guten Vorbilds betreiben und Felder benennen,
die für die Entwicklung der Region und der EU von Vorteil sind. Dazu zählen Verteilung
von Wasserressourcen und der Export von Energie. Erdgas und Erdöl sind für die EU und
Deutschland von großem Interesse, regionale Zusammenarbeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
sind dabei vor Ort die Ziele.
Kompass 2020 | Reinhard Krumm | Zentralasien – Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
I. Rahmenbedingungen – „Autoritäre Modernisierung“
Einst diente Zentralasien als internationale Drehscheibe. Waren aus allen Himmelsrichtungen
wurden hier verschoben, Grenzen überwunden und die Menschheit globalisiert.
Aus gutem Grund trug die Region das Präfix „zentral“ oder „mittel“ im Namen. Nicht
nur Waren, sondern auch Gedanken und Thesen wurden ausgetauscht. Der berühmte
Gelehrte Avicenna vermittelte zwischen den Anschauungen der griechischen Antike und
dem Islam. Durch ihn gelangte das Werk des Aristoteles erneut nach Europa.
Eintausend Jahre später teilt sich die riesige Region, mehr als zehnmal so groß wie
Deutschland, die vom Kaspischen Meer bis zum Pamir-Gebirge reicht und im Süden an
Afghanistan und im Norden an Sibirien grenzt, in fünf souveräne Staaten auf. Mit dem
Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 erlangten zum ersten Mal in der Geschichte
die Republiken Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan
ihre Unabhängigkeit. Die von den Sowjets in den zwanziger Jahren gezogenen
Grenzen blieben fast unberührt. Trotz historischer Gemeinsamkeiten werden weder Afghanistan
noch die chinesische Westprovinz Xinjiang im politischen Verständnis der Region
Zentralasien zugerechnet.
Alle fünf Republiken der Region taumelten benommen in die Unabhängigkeit. Sie kam
mehr als Überraschung und unverhofftes Geschenk denn als Resultat politischer Aufstände
oder Willensbekundungen unzufriedener Bürger. Denn aus der Hauptstadt des
sowjetischen Imperiums erfolgten Zahlungen an die zentralasiatische Peripherie, die
eine fast europäische Infrastruktur ermöglichten. Im Gegenzug wurde die rohstoffreiche
Region ausgebeutet, Baumwolle, Gold und Uran, sowie kontaminiert, Nuklearversuche
im kasachischen Semipalatinsk, radioaktiver Müll im kirgisischen Mailuu-Suu und Austrocknung
des Aralsees in Usbekistan. Die Bevölkerung nahm das zum großen Teil mit
Gleichgültigkeit auf.
I.1 Schicksalsgemeinschaf t Zentralasien
Die erste Etappe der Unabhängigkeit bis zum Jahr 2001 fand in der Region ohne großes
Interesse ausländischer Staaten statt. Russland war mit sich selbst beschäftigt, die USA
mit der Neuordnung der Welt und Europa mit dem Ende der Teilung. Kaum ein Land
lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit der fünf Regierungen, die mit Ausnahme
Kirgisistans zunächst von ehemaligen kommunistischen Duodezfürsten geleitet wurden.
Gleichwohl finden sich die Gründe der unterschiedlichen Entwicklung der fünf Staaten in
dieser Periode.
Zentralasien ist eine Schicksalsgemeinschaft, gleichzeitig geschaffen durch den Befehl
der Räteregierung in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die Region ist
freilich keine Wirtschafts-, schon gar keine Wertegemeinschaft. Jede Regierung verfolgt
ihre eigenen Interessen, zumeist ohne Rücksicht auf die Region. Das unterscheidet sie
deutlich von der EU. Jedoch eint sie eine knapp siebzigjährige gemeinsame Geschichte
und damit eine Infrastruktur, die regional und nicht national geschaffen wurde. Dazu
sind vornehmlich die Wasserressourcen zu rechnen, aber auch die Energieversorgung
sowie die Handelswege. Alle zentralasiatischen Republiken sind Binnenländer, Usbekistan,
neben Liechtenstein, das weltweit einzige doppelte Binnenland.
Sowohl der turkmenische Präsident Saparmurad Nijazov als auch sein usbekischer Amtskollege
Islam Karimov vermieden eine Schocktherapie. Das schien zu Beginn erfolgreich
zu sein, wurden doch soziale Proteste und Unruhen wie in Russland vermieden. TadschiKompass
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kistan versank derweil im Bürgerkrieg. Präsident Emomali Rachmonov konnte erst nach
1997 mit dem Wandel beginnen. Am erfolgreichsten gingen die Länder Kasachstan und
Kirgisistan die Reformen an. Kasachstan, dem neuntgrößten Land der Welt, half dabei der
Rohstoff Erdöl, der um das Kaspische Meer zu finden ist. Präsident Nursultan Nazarbaev
ließ den Unternehmern viele Freiräume, die sie nutzten. Und Kirgisistan hatte mit Askar
Akaev einen Präsidenten, der unerwartet schnell mit dem Umbau des Staates begann.
I.2 Kampf gegen den Terror
Dann rissen der Terroranschlag vom 11. September 2001 und der anschließende Krieg
in Afghanistan die Länder Zentralasiens ins grelle Licht der internationalen Presse. Es
begann die zweite Phase der Unabhängigkeit. Plötzlich erhielten die Anrainerstaaten
strategische Bedeutung im Kampf gegen den Terror. Die USA schickte Truppen nach Usbekistan
und Kirgisistan, und im Rahmen der International Security Assistance Force
(ISAF) stationierte die deutsche Bundeswehr etwa 300 Soldaten in der südusbekischen
Stadt Termiz. Der US-amerikanische Präsident George Bush empfing Islam Karimov 2002
in Washington im Weißen Haus.
Für einen kurzen Moment schien es, als ob es eine Chance gäbe, einige der Missverständnisse
zwischen Orient und Okzident in Zentralasien aus dem Wege zu räumen: westliche
Demokratie bedeutet Chaos, islamische Staaten sind nicht zur Demokratie fähig. Der
Krieg in Afghanistan sollte auch als Katalysator verstanden werden, um den Staaten und
den Gesellschaften mit ihren knapp 60 Millionen Bürgern bei den Reformen zu helfen,
sie dabei zu unterstützen, die schwere Last des sowjetischen Erbes abzuschütteln: ein
stabiles und freies Zentralasien als Vorbild für das zerrüttete Afghanistan.
Nicht nur die internationale Staatengemeinschaft wollte nun energisch den schwierigen
Systemwandel unterstützen, den man als „Umstellung des Straßenverkehrs von Links
auf Rechts bei laufendem Verkehr“ bezeichnen kann, sondern auch die internationalen
Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs). Dabei standen gleichsam die Reformen der
Wirtschaft und des Staates im Vordergrund. Exemplarisch steht dafür die Jahrestagung
der Europäischen Bank für Entwicklung und Wiederaufbau im Mai 2003 in der usbekischen
Hauptstadt Taschkent. Die erste Veranstaltung hatte die Menschenrechte zum
Thema.
Die Zeit des gegenseitigen Vertrauens hielt nicht lange an. Als die Schlagzeilen der
bunten Revolutionen in Georgien und in der Ukraine Zentralasien erreichten, schlug die
Stimmung schlagartig um. Während das Regime in Turkmenistan unter dem auf Lebenszeit
gewählten Präsidenten Nijazov, der sich Turkmenbaschi nannte, Vater aller Turkmenen,
innenpolitisch eine Diktatur und außenpolitisch die Neutralität gewählt hatte,
fühlte sich vor allem die Regierung in Usbekistan unter Präsident Islam Karimov verraten.
Wie konnten die USA auf der einen Seite eine strategische Partnerschaft mit einem militärischen
Stützpunkt in Usbekistan anstreben und auf der andern Seite mithilfe von
NGOs sein Regime stürzen wollen?
Auch in Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan nahm die Kritik an der Doppelstrategie
der USA zu und wurde verallgemeinert zu einer Fundamentalkritik am Westen. Als der
politische Wandel stagnierte, erreichte die Welle der Revolutionen das kleine Kirgisistan.
Im März 2005 fegte der Bürgerprotest gegen gefälschte Parlamentswahlen den kirgisischen
Präsidenten Akaev fort. Er verließ das Land fluchtartig in Richtung Russland.
1] Jerzy Mackow, Totalitarismus und danach, Baden-Baden 2005, S. 109.
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Und knapp zwei Monate später befreiten bewaffnete Aufständische ein Gefängnis in der
im Fergana-Tal gelegenen Stadt Andijan, um aus ihrer Sicht unrechtmäßig einsitzende
Geschäftsleute zu befreien. Dabei erschossen sie Menschen. Eine Demonstration auf dem
Hauptplatz der Stadt wurde vom Staat brutal mit Waffengewalt beendet. Nach staatlichen
Angaben starben etwa 200 Menschen, nach Berichten von der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und Human Rights Watch (HRW) liegt
die Zahl der Toten deutlich höher.
Westliche Beobachter differenzieren inzwischen und kritisieren sowohl die gewaltsame
Gefängnisbefreiung auf der einen Seite und den unverhältnismäßigen Einsatz von Waffengewalt
gegen vornehmlich unschuldige Demonstranten auf der anderen Seite. Präsident
Karimov, der die volle Verantwortung übernommen hatte, sprach von der Niederschlagung
eines religiös motivierten Regierungsumsturzes. Auch ausländische Kräfte
seien am Werk gewesen. Damit waren die USA gemeint. Belege sind der Öffentlichkeit
bisher nicht vorgelegt worden.
Das britische Nachrichtenmagazin Economist forderte in einem Leitartikel Bestrafung
für Usbekistan. Nachdem die Regierung in Taschkent eine internationale Untersuchung
abgelehnt hatte, geschah genau das: Die EU ordnete Sanktionen an, die vor allem mehr
symbolischen Wert besaßen.
I.3 Zwischen Öf fnung und Isolation
Das Jahr 2005 nach Bischkek und Andijan symbolisiert so den Beginn des dritten Zeitabschnitts
seit der Unabhängigkeit der zentralasiatischen Staaten. Denn die Ereignisse
in Andijan haben nicht nur die Politik Usbekistans beeinflusst, sondern die der ganzen
Region. Der vorläufig letzte Abschnitt der noch jungen Geschichte Zentralasiens ist gekennzeichnet
von einem Vertrauensverlust in den Westen, dem eine doppelte Moral vorgeworfen
wird.
Die Niederschlagung in Andijan wird von den Regierungen in der Region als Ende der
bunten Revolutionen gewertet, also positiv. Zwei Monate danach unterzeichneten sie
im Juli bei einem Treffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in der
kasachischen Hauptstadt Astana eine Resolution, in der alle ausländischen Staaten aufgefordert
wurden, ihre Militärbasen in Zentralasien zu schließen.
Das war wenig verwunderlich, sind doch neben den Republiken Kasachstan, Kirgisistan,
Tadschikistan und Usbekistan die beiden Großmächte Russland und China Mitglieder. Sie
bewerteten die amerikanische Truppenpräsenz als negativ, ja als zunehmendes Sicherheitsrisiko.
Zudem bedürfe Afghanistan, so eine weitere Begründung, keiner weiteren
militärischen Unterstützung in dem Ausmaß, dass Truppen in Zentralasien stationiert
sein müssten. All das erinnert an das Große Spiel („Great Game“) des ausgehenden
19. Jahrhunderts, als Russland und England um Einfluss in Zentralasien stritten. Mit zwei
großen Unterschieden: Heute beteiligen sich die USA, China und die EU daran und, viel
entscheidender, die Länder der Region sind souverän.
Von den Sanktionen waren neben den USA (Basen in Usbekistan und Kirgisistan) auch
Russland (Basen in Kirgisistan und Tadschikistan) und das ISAF-Kontingent unter deutscher
Führung (Usbekistan) betroffen. Tatsächlich richtete es sich jedoch nur gegen die
USA. Als Folge des usbekischen Ultimatums zog Washington die etwa 1000 Soldaten bis
Ende Dezember 2005 aus dem Land ab. Es verblieben die Truppen in Kirgisistan.
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So hat vor allem Usbekistan eine außenpolitische kopernikanische Wende vollzogen.
Nach Jahren des kritischen Umgangs mit Russland und der kurzen strategischen Partnerschaft
mit den USA wandte sich die Führung in Taschkent nach den Ereignissen in Andijan
und der heftigen Kritik aus den USA und Europa wieder gen Moskau. Und Präsident
Karimov wurde im Kreml mit offenen Armen empfangen. Die anderen Länder der Region
verhielten sich abwartend und achten genau auf eine Ausbalancierung des russischen
Einflusses.
Galt der erste russische Präsident Boris Jelzin als der Zerstörer des russischen Imperiums,
will sein Nachfolger Vladimir Putin als Gründer eines neuen mächtigen Russlands in die
Geschichte eingehen. Um das zu verwirklichen kann er sich von den Republiken der ehemaligen
Sowjetunion neben Belarus nur noch Zentralasien zuwenden.
In vorauseilendem Gehorsam hatte der kirgisische Oppositionspolitiker Kurmanbek
Bakiev sich schon vor der Tulpenrevolution Rückendeckung für einen möglichen Regierungswechsel
bei Putin geholt. Auch dem tadschikischen Präsidenten Rachmonov sind
die Hände gebunden. Etwa ein Sechstel der sechs Millionen Bürger arbeitet im Moskowiter
Reich und erwirtschaftet eine Summe, mit der das Land am Hindukusch am Leben
gehalten wird.
Derweil reiste Putin zu Beginn der vergangenen Jahre stets nach Kasachstan, um sich mit
dem kasachischen Präsidenten Nazarbaev zu treffen. Und auch der Turkmenbaschi wusste,
obwohl er seine russischen Partner oftmals brüskierte, dass er seinen Rohstoffreichtum
nur über das russische Röhrensystem nach Europa leiten konnte. Sein Nachfolger wird es
ähnlich sehen.
Gerade Russland unter Präsident Putin ist es, kritisiert das angesehene amerikanische
Magazin Foreign Affairs, das sich vehement gegen Modelle der westlichen Demokratie
wehrt. Und das strahlt aus. So verschärften nicht nur Russland, sondern fast alle Länder
Zentralasiens die Gesetzgebung gegenüber den NGOs. Dahinter steckt ein tiefes Misstrauen
der postsowjetischen Eliten gegen Initiativen aus der Bürgergesellschaft, die vom
Staat nicht mehr zu kontrollieren sind. Es ist der Versuch, die Zivilgesellschaft zu bürokratisieren.
Bei dem Antagonismus zwischen zunehmender Macht der Eliten und machtloser
Bevölkerung wächst die Gefahr der Instabilität.
Und das, obwohl die Länder bei ihrem Wandel auf eine aktive Zivilgesellschaft angewiesen
sind, um die Schwächen des Staates zu kompensieren. Die Zivilgesellschaft
könnte zudem den Elitenwandel beschleunigen und dem Staat neue, dringend notwendige
Energie in Form von Reformen zuführen. Doch noch immer beschert Systemloyalität
wesentlich mehr Gewinn als Kompetenz. Das behindert die Modernisierung.
Die Länder der Region besitzen gut ausgearbeitete Verfassungen, in denen alle Ingredienzien
eines demokratischen und modernen Staates vorhanden sind: unabhängige
Gerichtsbarkeit, Achtung der Menschenrechte, kontrollierende Parlamente, freie Wahlen,
unabhängige Presse und Gleichheit zwischen Mann und Frau. Während Bürgerrechtler
von inhaltslosen Fassaden sprechen, sind die Regierungen stolz auf „autoritäre Modernisierung“
, auf gelenkte Demokratie und auf einen eigenen, östlichen Ansatz zur Einführung
der Demokratie.
2] Thomas Carothers, Backlash against Democracy Promotion, in: Foreign Affairs, March 2006, Washington, S. 56.
3] Sultan Akimbekov, Zastojnyj Moment (Bremsendes Moment), Kontinent, Nr. 22, Almaty 2005, S. 17–19.
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Denn westliche Gesellschaften, so der Vorwurf, seien individualistisch, östliche Gesellschaften
dagegen kollektivistisch ausgerichtet. Dabei stellt sich die Frage, was sich tatsächlich
hinter diesen Termini versteckt. Wer entscheidet denn, wann eine politische Elite
den bisweilen unerträglichen Druck auf die Bevölkerung aufhebt? Welche Gründe sollte
es für die Elite geben, gewonnene Pfründe abzugeben? Eine öffentliche Diskussion fehlt,
denn die Medien zensieren sich auf politischen Druck hin selbst.
Auch nach einer starken, konstruktiven Opposition schaut man sich vergeblich um. Zu
eng ist der vom Staat vorgegebene Rahmen und zu unbekannt das Konzept einer konstruktiven
Opposition. In das Parlament gelangen derweil ausgewählte Politiker, die Kritik,
wenn überhaupt, nur in feinen Dosen üben. Eigentlich müsste die außerparlamentarische
Opposition an Bedeutung gewinnen. Doch gegen sie geht der Staat mit aller Macht vor.
Es gilt die Putin’sche Diktatur des Gesetzes. Von Recht ist nicht die Rede.
Derweil scheint sich vor allem in Tadschikistan und Usbekistan, aber auch in den südlichen
Gebieten Kasachstans und Kirgisistans eine islamische Bewegung zu bilden, die
in Opposition zum säkularen Staat steht. Als Reaktion dramatisieren die Regierungen
der allesamt säkularen Staaten eine Bedrohung, die nach Meinung von Experten ohne
Zweifel vorhanden ist. Doch rechtfertigt sie das brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste
gegen mutmaßliche Islamisten? HRW spricht von der Zeugung eigener Feinde.
I.4 Suche nach der Identität
Die dritte Phase der Entwicklung Zentralasiens ist innenpolitisch davon geprägt, dass die
Regierungen eher reagieren als agieren – auf politische Schwierigkeiten, wirtschaftliche
Probleme und Fragen der Identität. Die größte Herausforderung ist der Machtwechsel
eines Regierungsoberhauptes nach rechtsstaatlichen Vorgaben, zu dem es bisher in Zentralasien
nicht gekommen ist. Zu sehr hängt die politische Stabilität vom Präsidenten
ab, denn die staatlichen Systeme sind schwach, ihre Mitarbeiter oftmals schlecht ausgebildet
und lokale Clanstrukturen nur schwer auszubalancieren.
Die Staatsoberhäupter fürchten eine Machtabgabe wegen ihrer ungewissen Zukunft.
Die Flucht Akaevs haben sie noch vor Augen. Ihre Nachfolger wären in der Lage, Untersuchungen
durchzuführen, deren Ergebnisse als Grund für Gefängnisstrafen dienen
könnten. Wie real die Gefahr ist, zeigt der Vorschlag des stellvertretenden kasachischen
Außenministers Rachat Alijev, dem Schwiegersohn des Präsidenten, eine konstitutionelle
Monarchie einzuführen. So absurd der Gedanke klingt – er dient der Absicherung seines
Schwiegervaters.
„Irgendwie landen wir immer wieder bei den Methoden des NKWD.“ Das sagte kein
Geringerer als der russische Präsident Putin. Der sollte es wissen, diente er doch als
Mitarbeiter dem KGB, einer Nachfolgeorganisation des NKWD. So wie einst werden in
einigen Republiken Zentralasiens noch immer einige widerspenstige Journalisten unter
Druck gesetzt, unliebsame Initiativen der Zivilgesellschaft kujoniert und Gerichtsverfahren
durch so genannte Telefongesetze entschieden – Richter reagieren auf Telefonanrufe
einer hochrangigen Behörde. Nach der Rangliste der amerikanischen Organisation
Freedom House gelten die Länder Zentralasiens als „nicht frei“.
Der Umkehrschluss freilich, wonach es den Bürgern der Region schlichtweg schlecht
ergeht, ist problematisch. Nach einer Umfrage der Weltbank in Washington sind fünf
4] Zitiert nach Michael Ludwig, Häuserkampf in Moskau, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Juni 2006, S. 3.
Kompass 2020 | Reinhard Krumm | Zentralasien – Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
Prozent der Zentralasiaten sehr zufrieden, 51 Prozent recht zufrieden. Wie ist diese relative
Zufriedenheit oder, genauer formuliert, das sich Abfinden zu erklären, das ja im
Widerspruch zur schwierigen Menschenrechtslage und den teilweise völlig überforderten
Sozialsystemen steht?
Zum einen damit, dass für die überwiegende Mehrheit der Bürger der Faktor Stabilität
eine herausragende Rolle einnimmt. Nach den zum Teil traumatischen Verlusten von
Ersparnissen und Sicherheit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erwartet die
Bevölkerung von radikalen Reformen wenig Fortschritt. Umso mehr unterstützt sie die
graduellen Veränderungen im Bereich Bildung und Wirtschaft. Auch wird die Unabhängigkeit
von Russland gerade von der jüngeren Bevölkerung geschätzt. Und die macht in
Zentralasien zum Teil über 50 Prozent aus.
Zum anderen werden Verstöße gegen Menschenrechte nicht immer als solche wahrgenommen
oder als von Gott gegeben hingenommen. Dass der Staat die Bürger an Entscheidungen
beteiligt, erwarten sie schon gar nicht mehr. Mit Schikanen muss man sich
arrangieren, jedoch nicht bei wirtschaftlichen Problemen. Dort ist das Ungerechtigkeitsgefühl
wesentlich stärker ausgeprägt. Sie lösen Demonstrationen aus. Gleichwohl wird
der Mangel an sozialen Leistungen des Staates durch die Kraft der Familien abgepolstert.
Deshalb können es sich einige Staaten noch immer leisten, die sozialen Sicherungssysteme
sträflich zu vernachlässigen.
Was eint denn da noch die Bürger nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als die
Idee des Kommunismus aufhörte als Bindemittel zu dienen? Zunächst einmal sind es die
lokalen Identitäten, die einen Bürger als Teil einer Stadt oder eines Gebietes ausweist.
Die Identifikation mit einem Land findet weit weniger Zuspruch in der Bevölkerung. Auch
aus diesem Grund sind die Staaten auf prosperierende Volkswirtschaften angewiesen.
Dabei unterscheiden sich die zentralasiatischen Wirtschaften deutlich voneinander.
Während Kasachstan seit Jahren ein robustes Wirtschaftswachstum von knapp zehn Prozent
vorweisen kann, Usbekistan sich seit 2004 dem annährt und Turkmenistan aufgrund
der riesigen Gasvorkommen ebenfalls zulegt, mühen sich die kleinen Länder Kirgisistan
und Tadschikistan. Sie legen wirtschaftlich zwar zu, aber auf niedrigem Niveau. Beide
Länder besitzen ein Bruttosozialprodukt von jeweils etwa 2,3 Milliarden US-Dollar. Das
entspricht dem Jahresprofit des amerikanischen Weltkonzerns Exxon Mobil. Kein Wunder,
dass die Arbeitsmigration der zentralasiatischen Bevölkerung in reichere Länder inzwischen
mehrere Millionen beträgt. Betroffen ist vor allem Russland.
Derweil boomt Kasachstan und wird als „Cockpit“ und „Lokomotive“ Zentralasiens bezeichnet.
Während die Vertretung der deutschen Wirtschaft in Taschkent im Herbst 2004
wegen mangelnder Aufträge ihre Türen schloss, zog der Internationale Währungsfonds
(IWF) seinen internationalen Vertreter aus Kasachstan aus einem ganz anderen Grund ab:
Das Land verfüge über genügend Kapital.
So schreitet die „autoritäre Modernisierung“ voran. Deren Tempo unterscheidet sich in
den Ländern sehr. Ein nachhaltiger Erfolg wird noch immer durch politische und wirtschaftliche
Instabilitäten sowie durch Korruption gefährdet. Auch trotz zum Teil beeindruckender
Erfolge ist der Ausgang des politischen Wandels in Zentralasien auch nach
15 Jahren unklar.
5] UNDP, Central Asia Human Development Report, Bratislava 2005, S. 44.
6] Ebd., S. 42.
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II. Die Politik Deutschlands – „Stabilität an vorderster Stelle“
Die Bundesrepublik Deutschland begann sich in Zentralasien sehr schnell nach der Unabhängigkeit
zu engagieren. Nur sechs Tage nach der Rücktrittsrede im Fernsehen am
ersten Weihnachtstag von Michail Gorbatschov, des letzten Präsidenten der Sowjetunion,
erkannte die Bundesregierung am 31. Dezember 1991 die fünf Republiken der Region als
souveräne Staaten an. Auf Initiative des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher
entsandte Bonn innerhalb kürzester Zeit Botschafter in alle Länder. Kein anderes
europäisches Land hat bis heute eine solche politische Präsenz vorzuweisen.
Wie lässt sich das Interesse Deutschlands erklären für eine Region, die etwa 5000 Kilometer
entfernt liegt? Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, die drei Etappen
der Entwicklung der Region und deren Auswirkung auf die deutsche Außenpolitik zu untersuchen.
Es gab Kontinuität, gleichwohl verfolgte Deutschland in den drei Zeitperioden
auch unterschiedliche Interessen. Dabei waren weltpolitische Faktoren ausschlaggebend.
Die erste Periode war gekennzeichnet durch eine Dankbarkeit Deutschlands gegenüber
der ehemaligen Sowjetunion für die Unterstützung bei der Wiedervereinigung. Die 15
souveränen Nachfolgerepubliken sollten auf ihrem schweren Weg des Wandels von deutschen
und europäischen Erfahrungen und Werten profitieren. Deshalb die ungewöhnlich
hohe Dichte von deutschen Diplomaten in Zentralasien.
Doch es gab noch einen weiteren Grund. In dem Gebiet lebte etwa eine Million Russlanddeutsche.
Sie waren von Stalin nach dem Kriegsbeginn 1941 von ihrem Siedlungsgebiet
an der Wolga nach Zentralasien deportiert worden, und die Bundesregierungen seit der
Kanzlerschaft Konrad Adenauers hatten sich für sie stark gemacht. Mit Beginn der Unabhängigkeit
der Staaten im Süden der ehemaligen Sowjetunion hegten die Russlanddeutschen
den Wunsch, nach Deutschland auszureisen.
Der größte Anteil lebte in Kasachstan, knapp eine Million, es folgten Kirgisistan, etwa
100.000 und Usbekistan mit knapp 40.000 Menschen. In Tadschikistan und Turkmenistan
waren es weit weniger Russlanddeutsche. Über zwei Drittel leben inzwischen in Deutschland.
Bei der Überwindung der bürokratischen Hürden bei der schwierigen Übersiedlung
der Aussiedler sowie der Unterstützung der deutschen Minderheit in Zentralasien half
der deutsche Staat. Gleichzeitig förderte die Bundesregierung vor Ort Stabilität, Rechtsstaatlichkeit
und soziale Marktwirtschaft.
Damit war aber noch keine Antwort auf die Frage gegeben, welchen Zielen diese Interessen
dienen sollen. Das Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion „Zukunftsregion
Kaspisches Meer“ aus dem Jahre 1998 formulierte da schon genauer. Ein deutsches Ziel
sei es, so fordert das Papier, „Beiträge zur europäischen Energiesicherheit“ zu leisten.
Das bezog sich vor allem auf die Länder Kasachstan und Turkmenistan mit ihren Erdgasund
Erdölvorkommen, die zusammen mit denen von Aserbaidschan etwa 4,2 beziehungsweise
4,0 Prozent der gesicherten Weltreserven ausmachen.
Mit dem Beginn des Kampfes gegen den Terror, der mit dem Krieg in Afghanistan Ende 2001 begann,
wurden die Ziele der deutschen Außenpolitik in Zentralasien sehr viel konkreter. Deutschland
entsandte Soldaten nach Usbekistan, um das ISAF-Kontingent in Afghanistan logistisch zu
unterstützen. In dem Zentralasienkonzept der Bundesregierung vom März 2002 , das bis heute
gilt, heißt es dazu, dass es „einer Neuausrichtung unserer politischen Prioritäten“ bedarf.
7] Zukunftsregion Kaspisches Meer, Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion, Bonn 1998.
8] Zentralasienkonzept der Bundesregierung vom 18. März 2002, Berlin 2002.
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Dazu zählte in erster Linie der „Kampf gegen den Terror“, Festigung „demokratischer
Strukturen“, „Bekämpfung der Armut“, „sozial- und umweltverträgliche Entwicklung
der Wirtschaft“ und „Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen“. Der damalige
deutsche Verteidigungsministers Peter Struck spitzte es zu: „Die europäische Sicherheit
wird am Hindukusch verteidigt.“
Und damit auch in Zentralasien. Einen rechtslosen Raum in einem Land, den extremistische
Gruppen für sich in Anspruch nehmen können, um von dort aus Terroranschläge
vorzubereiten, sollte es nicht mehr geben. Denn das würde, so eine weitere Leitlinie des
Zentralasienkonzepts, die „Sicherung des ungehinderten Energietransfers“ erschweren,
wenn nicht unmöglich machen.
In diesen Punkten erhielt die deutsche Politik Unterstützung durch die EU. In ihrem Strategiepapier
2002–2006 führt sie drei Arbeitslinien auf, die sich mit Sicherheit, mit der
Verminderung von politischen und sozialen Spannungen und mit Handel und Energieversorgung
beschäftigen sollen: „Als ein großer Energiekonsument wird sich die EU für die
Entwicklung der kaspischen Energieressourcen sowie für sichere Transitrouten interessieren,
um eine Diversifizierung der Versorgung zu garantieren.“
Hat sich die deutsche und europäische Außenpolitik diesem Thema wirklich angenommen?
Ist ein so anspruchsvolles Ziel überhaupt zu erreichen oder verheben sich Berlin
und Brüssel? Gas und Erdöl erreichen Europa nicht direkt aus Zentralasien, sondern über
Russland. Dorthin führen fast alle Pipelines, gebaut noch zu sowjetischen Zeiten. Zurzeit
ist ohne Russland die Energieversorgung in Europa nicht zu lösen.
Bisher fehlte es in Deutschland und Europa an einem politischen Instrumentarium, sich
diesem Ziel anzunähern. Erst im Mai 2006 machte sich ein EU-Kommissar auf den Weg
nach Zentralasien. Der Lette Andris Piebalgs sprach in Kasachstan über Diversifizierung
des EU-Rohstoffbedarfs, um die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Im Dezember
unterzeichneten Astana und Brüssel ein gemeinsames Energieabkommen.
Die politische Ausgangslage ist kompliziert. Gerade Russland und China haben ein
großes Interesse an den Rohstoffen Zentralasiens. Das sollte Deutschland jedoch nicht
daran hindern, sich Zentralasien zu widmen und neue Lösungen zu finden. Denn Berlin
hat in der Region einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: seinen hervorragenden Ruf.
Deutschland gilt als verlässlicher Partner, der ohne geopolitische Ambitionen agiert.
Einen großen Anteil daran besitzt neben dem Auswärtigen Amt das engagierte Vorgehen
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ),
dessen Interessen freilich ganz andere sind. Das BMZ-Zentralasienkonzept von 200510
nennt die Armutsbekämpfung als „Ziel und Querschnittsaufgabe“, die durch drei prioritäre
Ansätze gesichert werden soll: Unterstützung von Demokratisierungsprozessen,
Rechtsstaatlichkeit und zivilem Wettbewerb, Unterstützung sozial- und umweltverträglicher
Wirtschaftsreformen sowie die Sicherung sozialer Grunddienste.
Deutschland ist innerhalb der EU der größte bilaterale Geber in Zentralasien. Vor Ort sind
Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der
Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), der Deutsche Volkshochschulverband
(DVV), der Deutsche Entwicklungsdienst (DED), die Welthungerhilfe, das Goethe-Institut,
die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in der Region
9] Strategy Paper 2002–2006 & Indicative Programme 2002–2004 for Central Asia, Brussels, 10 October 2002.
10] BMZ, Zentralasienkonzept, Bonn 2005.
10
Kompass 2020 | Reinhard Krumm | Zentralasien – Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
tätig.
Ein ähnliches Netzwerk in allen Ländern der Region kann kein anderes Land vorweisen.
Jedoch haben die bunten Revolutionen den Zugang eingeschränkt. Das Misstrauen gegenüber
dem Westen hat in der dritten Phase seit der Unabhängigkeit zugenommen. Die Sicherheitslage
in Afghanistan verschlechtert sich. Pläne, die Rohstoffe Zentralasiens über
Afghanistan und den Iran nach Europa zu transportieren, sind politisch unrealistisch. Die
deutsche Bundesregierung hat beschlossen, während ihrer EU-Ratspräsidentschaft im
ersten Halbjahr 2007 Zentralasien vorrangig zu behandeln und ein neues EU-Konzept zu
schreiben.
Dazu hielt Staatsminister im Auswärtigen Amt Gernot Erler in Berlin im Mai 200611 eine
programmatische Rede: „Das Ziel Stabilität steht an vorderster Stelle.“ Es ist im europäischen
Interesse, „ein friedliches, stabiles Umfeld zu schaffen“. Weitere Schwerpunkte
seien die „schrittweise Verwirklichung von Demokratie und Rechtsstaat“ und „die Energiesicherheit
Deutschlands und der EU“, denn dabei „gewinnen die Länder Zentralasiens
immer mehr an Bedeutung“. Doch zunächst, so Staatsminister Erler, „müssen Ziele und
Interessen beider Seiten identifiziert werden“. Und dann werde entschieden werden, wie
sich daraus Realpolitik entwickeln kann.
Dabei ist es Deutschland gelungen, Usbekistan wieder in einen Dialog einzubinden. Auf
Initiative Berlins wurden die 2005 verhängten Sanktionen gegen das Land nach einem
Jahr entschärft. Grund war die Bereitschaft Taschkents, im Dezember 2006 eine internationale
Expertengruppe einreisen zu lassen, die sich in Gesprächen und durch Einsehung
von Dokumenten mit den Ereignissen in Andijan befassen konnte.
III. Szenarien – Zwischen Tauwetter und Eiszeit
Plausible politische Szenarien für die Region Zentralasien aufzustellen fällt schwer, weil
sie von ungewöhnlich vielen Faktoren abhängig sind und das sowohl innen- als auch
außenpolitisch. Denn die Staaten sind erst seit 15 Jahren unabhängig und besitzen nur
schwache politische Institutionen, die anfällig für Krisen sind. Und aufgrund der Energieressourcen
und der geopolitischen Lage zeigen die Mächte China, Russland, die
EU und die USA an der Region großes Interesse. Deren Ausbalancierung fällt manchen
Staaten schwer.
Nun unterscheiden sich die Interessen für die innen- und außenpolitischen Akteure. Die
fast ausschließlich autokratischen Regierungen schauen vor allem auf Stabilität und
sorgen aufmerksam für ihre dafür notwendige Klientel. Dieses Ziel eint die in der Region
engagierten Länder und Bündnisse. Doch während China und Russland sich allein auf
politische Stabilität und Rohstoffe konzentrieren, wollen die USA und die EU erreichen,
dass die Staaten mittels Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und sozialer Marktwirtschaft für
Wohlstand sorgen und politische Machtwechsel ohne Chaos überstehen können. Werte,
die die Länder der Region als OSZE-Mitglieder ohnehin mittragen sollten.
So lautet denn die Schlüsselfrage für die Erarbeitung von zwei gegensätzlichen Szenarien:
Welche Faktoren beeinflussen die Demokratisierung in Zentralasien? Als Bestimmungsfaktoren
wurden ausgewählt: der schwache oder starke politische Wille einer Regierung (1), die schlechte
oder gute soziale Lage (2), das niedrige oder hohe Bildungsniveau (3), das kleine oder große
Engagement der Zivilgesellschaft (4) sowie eine zur Offenheit nicht bereite Mentalität (5).
11] Zitiert nach dem Text der Rede vom 18. Mai 2006 auf der Website www.gernot-erler.de.
11
Kompass 2020 | Reinhard Krumm | Zentralasien – Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
Viele Faktoren blieben unberücksichtigt. Doch um die Szenarien nicht zu überlasten,
wurde die Auswahl auf die oben genannten fünf Faktoren beschränkt. Und um dem geneigten
Leser die politische Bandbreite der Region aufzuzeigen, werden zwei sich deutlich
voneinander unterscheidende Szenarien vorgestellt. Sowohl die Szenarien als auch
die Strategien sind sehr kurz und einfach gehalten. Eine ausführlichere Darstellung ist im
Rahmen dieser Studie nicht möglich.
III.1 Szenarium 1 – Frühling auf der Seidenstraße
1. In Zentralasien ist der politische Wille der Regierungen stark, Reformen zum Wohle des
Landes und der Bürger voranzutreiben. Sie werden geleitet von Interessen, die dem Land
zugutekommt und der Region, ohne die sie mittelfristig nicht leben können. Stabilität, die
auf demokratischen Strukturen und Werten beruht, ist die Prämisse für Wohlstand und
Fortschritt. Ein Regierungswechsel wird somit nicht zum Vabanquespiel für die Zukunft
der Staaten.
Der politische Reformwille liegt in der Überzeugung begründet, dass eine langfristige
Stabilität nur in einem gemeinsamen Bestreben von Staat und Gesellschaft zu erreichen
ist. Deshalb wird den zivilgesellschaftlichen Initiativen mehr Freiraum eingeräumt. Weder
sie noch eine freie Presse werden als Bedrohung angesehen. Ausländische Staaten unterstützen
die Reformen durch bilaterale Wirtschaftsabkommen und verstärkte Entwicklungszusammenarbeit.
2. Die soziale Lage der Bevölkerung hat sich verbessert. Durch ein größeres Vertrauen
in den Staat und mehr Geld am Monatsende für die Bürger haben die Steuereinnahmen
zugenommen. Mehr Geld fließt in die Sozialkassen. Damit werden vor allem einkommensschwache
Familien entlastet und es steht mehr Geld für den Konsum zur Verfügung.
Die Wirtschaft beginnt real zu wachsen, ausländische Investoren gewinnen wieder Vertrauen.
3. Der Staat investiert in die Bildung. Dabei werden Untersuchungen zu Grunde gelegt,
die die Bedürftigkeiten der Staaten untersucht haben. Fachhochschulen und Universitäten
bilden die Spezialisten aus, die das Land tatsächlich benötigt gemäß einem Zukunftsprogramm
der Länder. Damit wird auch vermieden, dass gut ausgebildete Fachleute
auswandern, weil es im eigenen Land an Arbeitsplätzen und entsprechendem Lohn
mangelt.
4. Die Zivilgesellschaft erarbeitet Initiativen, die entweder gemeinsam mit dem Staat
oder alleinverantwortlich umgesetzt werden können. Ziel ist es, einen Staat zu schaffen,
der den Anforderungen einer globalisierten Welt gewachsen ist. Der Staat und die Zivilgesellschaft
haben begriffen, dass die Mittlerorganisationen, die NGOs und die Presse,
dem Staat nicht feindlich gegenüberstehen, sondern konstruktiv Kritik üben, um Verbesserungen
herbeizuführen.
5. Die Mentalität der Menschen in Zentralasien wird nicht durch die allein rückwärtsgewandte
Suche nach der eigenen Identität eingegrenzt. Stattdessen ist die Mentalität
offen und versucht, die Geschichte mit der Moderne zu vereinigen. Ein solches Streben
gelingt nur in einem gemeinsamen Vorgehen von Staat und Gesellschaft. Zentralasien
hat eine lange Tradition von Toleranz. Sie sollte den politischen Diskurs leiten.
Der Einwand, dass ein politischer Frühling auf der gesamten Seidenstraße wenig realistisch
anmutet, ist unter den jetzigen Umständen mehr als berechtigt. Aber das Szenarium
12
Kompass 2020 | Reinhard Krumm | Zentralasien – Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
ist zumindest in Teilen nicht ausgeschlossen. So investieren einige Länder durchaus in die
Bildung, die Zivilgesellschaft ist erwünscht, wenn auch oftmals unter staatlicher Kontrolle,
und die Mentalität weist in einigen Ländern in Richtung Öffnung, nicht Abschottung.
So ist der Wille der Regierungen ein starker Faktor, von dem viel abhängt. Er wird beeinflusst
von gut ausgebildeten Bürgern, von einer guten sozialen Lage und von einer zur
Offenheit bereiten Mentalität. Werden sie gestärkt, nimmt der politische Reformwillen
zu. Die Zivilgesellschaft, die direkt einen nur geringen Einfluss hat, muss deshalb auf die
drei genannten Faktoren einwirken, um deren Wirkungsbereich zu vergrößern und sich
selbst zu stärken.
III.2 Szenarium 2 – Eiszeit in Zentralasien
1. Der politische Wille, mutig Reformen anzugehen, ist schwach. Grund sind innenpolitische
Rivalitäten und eine Kontrollmentalität der Präsidenten. Es werden nur die Veränderungen
durchgeführt, die den Machterhalt nicht gefährden. Die Stabilität eines
Landes beruht auf starken Persönlichkeiten, nicht auf starken politischen Strukturen. Die
Regierung nimmt die aktive Zivilgesellschaft als einen zumeist feindlichen Akteur wahr.
Rechtsstaatlichkeit und freie Medien gefährden ihre Macht.
2. Die soziale Lage ist angespannt. Aufgrund der rigiden Innenpolitik und der engen
Verflechtung von Politik und Wirtschaft halten sich ausländische Investoren fern. Den Regierungen
gelingt es nicht, wirtschaftliche Nischen für ihre Länder zu finden. Die Arbeitslosigkeit
ist hoch, qualifizierte Fachkräfte wandern ins Ausland ab. Steuereinnahmen sind
knapp bemessen, Sozialleistungen nur minimal vorhanden.
3. Das Bildungssystem ist fast zusammengebrochen. Dem Staat fehlt es an Mitteln und
am Willen, den zukünftigen Generationen das Wissen zu vermitteln, das dringend notwendig
ist, um ein Land zu modernisieren. Um ihre Macht zu erhalten, scheuen die Regierenden
nicht davor zurück, das Bildungssystem auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren,
um zukünftige Kritik schon so zu unterbinden.
4. Die Zivilgesellschaft ist vom Staat fast vollständig vereinnahmt worden. Strenge Regeln
zur Registrierung haben nichtstaatlichen Initiativen die Stimme genommen. Auch
ausländische Kooperation ist kaum noch erwünscht. Wer nicht für den Staat ist, ist gegen
ihn. Die Modernisierung des Staates ist nur noch durch ihn selbst möglich – ein Widerspruch
in sich selbst. Es droht die Isolation, im schlimmsten Fall der Kollaps des Staates.
5. Die Mentalität wird vom Staat benutzt, um historisch eine Abschottung gegenüber
anderen Ländern und anderen Reformmodellen zu begründen. Statt Offenheit propagiert
der Staat Beschränktheit auf die eigene Identität, die einzig in der Vergangenheit liegt.
Nur unter diesen Bedingungen könne der Staat, so die Drohkulisse, überleben. Mehr
Offenheit würde zu unerwünschten Abhängigkeiten führen, ja sogar die Souveränität
bedrohen.
Vor diesem zum großen Teil sehr realistischen Szenarium ist den Regierungen zu erklären,
dass mit einer Isolation ein politisches System zwar überleben, aber auf Dauer keinen
Wohlstand und politische Stabilität generieren kann. Umso mehr bedarf es einer außenpolitischen
Partnerschaft, die nicht dazu dient, Staaten allein ihre Mängel vorzuhalten
und zu demütigen, sondern an zukünftigen Schritten zum Wohle des Landes zu beteiligen.
Dabei sind zu Beginn Projekte auszuarbeiten, die schon kurzfristig Erfolge vorweisen
und eine Win-win-Situation erzeugen.
13
Kompass 2020 | Reinhard Krumm | Zentralasien – Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
Wirtschaftliche Kooperation sollte durch rechtsstaatliche Reformen begleitet werden.
Dazu sind mittelfristig gut ausgebildete junge Menschen notwendig. Und die wiederum
schaffen zivile Initiativen. Diese eindimensionale Kettenreaktion ist leider besonders anfällig
für Unwägbarkeiten. Im Falle einer Isolierung ist eine politische Eiszeit in Zentralasien
sehr wahrscheinlich. Das könnte auch den Wiederaufbau Afghanistans gefährden.
IV. Handlungsoptionen – „Wandel durch Vorbild“
Die deutsche Politik hat sich entschieden, während ihrer EU-Ratspräsidentschaft im
ersten Halbjahr 2007 Zentralasien zu einem außenpolitischen Schwerpunkt zu erheben.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier flog deshalb im Herbst 2006 in die Region, um
Schwerpunkte der Kooperation zu bestimmen. Dazu könnten neben Sicherheit und Stabilität,
Wirtschafts- und Energieinteressen sowie Rechtsstaatlichkeit auch die Förderung
der regionalen Zusammenarbeit, eine Initiative zur Verbesserung der Ausbildung sowie
die Intensivierung des politischen Dialogs auf höchster Ebene zählen.
In einem weiteren Schritt werden die Instrumente der Umsetzung von Interessen präzise
zu benennen sein. Zentralasien ist keine stabile Region. Das bezeugen die Länder Kirgisistan,
nach der bunten Revolution, und die unklare Zukunft von Turkmenistan, nach
dem Tod des Alleinherrschers Nijazov. Zusätzlich steht Deutschland vor der schwierigen
Aufgabe, neben der eigenen und der der EU noch die Strategien von drei großen Mächten
ins Kalkül mit einzubeziehen.
Sowohl die USA als auch Russland zerren an der Region, doch mit gegensätzlichen Interessen.
Während Russland die Republiken als Energiequellen nutzen möchte, um die
eigenen südlichen Regionen direkt und die europäischen Nachbarn indirekt mit Energie
zu versorgen, planen die USA die Annäherung von Zentralasien und Südasien. So nennt
sich auch die neue Abteilung im Außenministerium. Ziel Washingtons ist es, Zentralasien
nach Süden hin zu öffnen, dorthin Energieressourcen zu liefern und Afghanistan zu stabilisieren.
Die zentralasiatischen Staaten orientieren sich im Augenblick nach Norden. Trotz aller
Kritik an der ehemaligen Kolonialmacht Russland erkennen sie, dass nur das russische
Pipeline-Netz funktioniert. Auch ist das Misstrauen gegenüber Afghanistan groß. Und
die USA haben an Einfluss in Zentralasien verloren, so dass sie kaum Instrumente haben,
um für den südlichen Energieexport Überzeugungsarbeit zu leisten. Gleichzeitig wächst
die Präsenz Chinas.
Deutschlands Außenpolitik scheint so vor der Wahl zu stehen, sich entweder für den
russischen oder für den US-amerikanischen Ansatz zu entscheiden. Zugespitzt formuliert
steht dem deutschen Energieimport aus Russland und Zentralasien die Stabilisierung Afghanistans
entgegen. Ob Deutschland und Europa diesen Widerspruch auflösen können,
ist fraglich.
Die Initiative hat Kasachstan ergriffen. Was noch vor wenigen Jahren als absurde Idee
verworfen worden wäre, erscheint nun als ein realistisches Anliegen: Mitgliedsstaat
Kasachstan will 2009 den OSZE-Vorsitz übernehmen. Auch das EU-Nachbarschafts-Programm
visiert Astana an. Das Land lockt damit, ein verlässlicher, alternativer Energieversorger
für Europa zu werden. Kritische Stimmen, vor allem Großbritannien und die USA,
verweisen auf den großen Nachholbedarf des Landes im Bereich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit
und Pressefreiheit.
14
Kompass 2020 | Reinhard Krumm | Zentralasien – Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
Doch gerade hier liegt eine Chance der deutschen Politik, die Staatsminister Erler so
formulierte: „Indem Kasachstan diese Rolle annimmt, demonstriert es den Willen Verantwortung
zu übernehmen und sich für die Instrumente und acquis der OSZE einzusetzen.“
Und gab dann der Hoffnung Ausdruck, dass „eine kasachische OSZE-Präsidentschaft Einfluss
innerhalb der Region“12 haben könnte. Freilich nicht den, dass politische Liberalisierung
unterbunden wird.
Eine kasachische Präsidentschaft der OSZE könnte eine Win-win-Situation bedeuten.
Beide Seiten ziehen einen Gewinn aus der neuen politischen Lage. Und es besteht berechtigte
Hoffnung, dass diese auch in die Region ausstrahlt. Zentralasiatische Reformer
benötigen den Westen nicht als Verteidiger gegen autoritäre Regime (das ist ihre eigene
Angelegenheit) oder als Sponsoren (zu viel ausländische Unterstützung ist schädlich für
das Image), sondern als Vorbild. Das abgewandelte Credo der Brandt’schen Ostpolitik
könnte lauten: Wandel durch Vorbild. Dafür dienen auch die Partnerschafts- und Kooperationsabkommen
der EU.13
Die Handlungsoptionen der deutschen Außenpolitik in Zentralasien sind dabei mannigfaltig.
Indem Kasachstan aus eigener Initiative die OSZE auf begrenzte Zeit leiten will,
werden die Anforderungen dafür weniger als Diktat gesehen. Darauf muss die OSZE auch
den größten Wert legen. Ebenso darauf, dass eines der Länder der Region nicht bevorzugt
behandelt, sondern als Teil Zentralasiens betrachtet wird.
Gerade Deutschland und die EU sollten auf die Vorteile einer regionalen Kooperation
hinweisen. Im Jahre 2006 haben die Kontakte der Republiken untereinander auf höchster
Ebene zugenommen. Sie sind Mitglieder der aktiven regionalen Bündnisse wie SOZ, Euroasiatische
Wirtschaftsgemeinschaft und des Zentralasiatischen regionalen Wirtschaftskooperationsforums.
Nur regional lassen sich Probleme wie Wasserverteilung, Drogenhandel,
Sicherheit, Umwelt und Transport lösen. Dafür sind Gespräche zwischen den
regionalen Bündnissen notwendig.
Gleichzeitig sollten Kontakte zu China und Russland hergestellt werden, um über gemeinsame
Interessen in Zentralasien zu reden. Zentralasien sollte nicht als Endregion für
europäische Politik betrachtet werden, sondern als Brücke zwischen Europa und Asien.
Dafür bietet sich die SOZ an, in dem die beiden Länder neben den zentralasiatischen Republiken
Mitglieder sind. Das schließt jedoch nicht aus, dass Deutschland, nicht zuletzt
wegen der Präsenz in jeder Republik, sich auch länderspezifischen Problemen zuwendet.14
Denn neben den Gemeinsamkeiten, die bisher mehr als störend denn als einigend empfunden
werden, unterscheiden sich die Länder doch erheblich.
Nach den vergangenen Jahren des gegenseitigen Misstrauens ist es an der Zeit, Interessen
deutlich zu formulieren. Das gilt für Deutschland, Europa und Zentralasien. Von
europäischer Seite muss vermittelt werden, dass Berlin und Brüssel an einem souveränen,
starken und demokratischen Zentralasien interessiert sind. Dafür bedarf es eines langfristigen
Engagements Europas, wie es der Sonderbeauftragte der EU, Botschafter Pierre
Morel, fordert.15
12] Gernot Erler, Germany and OSCE Reform, CORE Working Paper, Hamburg 2006, S. 11.
13] Die EU hat mit allen Ländern der Region Partnerschaftsabkommen unterzeichnet. In Kraft getreten sind sie seit dem 1. Juli 1999 in
Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan.
14] Vergleiche Crisis Group, Central Asia: What Role For The European Union?, Bishkek/Brussels 2006, S. ii.
15] Vortrag von Pierre Morel auf der FES-Konferenz „Die Zukunft der regionalen Kooperation: Zentralasien im Jahr 2020“ am 12. Dezember
2006 in Berlin.
15
Kompass 2020 | Reinhard Krumm | Zentralasien – Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte
Die Hauptstädte an der Seidenstraße müssen vermitteln, dass sie tatsächlich Reformen
und Modernisierung vorantreiben wollen. Dem Wunsch der Regierungen, Stabilität auch
auf Kosten der Menschenrechte durchzusetzen, ist von europäischer Seite ein deutliches
Nein entgegenzusetzen. Gerade deutsche politische Stiftungen können durch Seminare
und Rundtische eine Öffentlichkeit herstellen sowie für Verhandlungen zwischen Staat
und Zivilgesellschaft über politische Grundinteressen werben. Dieser Prozess ermöglicht
politische Partizipation, um über gute Regierungsführung und Einhaltung der Menschenrechte
zu reden. Demokratieförderung kann nur von innen, aus dem Land selbst
kommen.
Europa hat in seiner Geschichte sehr schmerzvoll erfahren, dass Stabilitäten, die von
oben verordnet werden, schnell im Chaos enden. Dieser Ausgang ist in einigen Ländern
Zentralasiens bisher nicht auszuschließen.
Über den Autor: Reinhard Krumm ist Regionalkoordinator Zentralasien der Friedrich-
Ebert-Stiftung mit Sitz in Taschkent, Usbekistan.
16
Kompass 2020
Deutschland in den internationalen Beziehungen
Ziele, Instrumente, Perspektiven
• Reinhard Krumm, „Zentralasien — Kampf um Macht, Energie und Menschenrechte“, Januar 2007
• Britta Joerißen, „Der Balkan — Von Krieg, Frieden und Europa“, Januar 2007
• Auslandseinsätze
• China
• Demografie und Migration
• Demokratieförderung
• Energiesicherheit
• Europäische Integration
• Indien
• Friedensförderung
• Gestaltung der Globalisierung
• Global Health
• Lateinamerika
• Menschenrechte und soziale Frage
• Mittlerer Osten
• Multilaterale Institutionen
• Organisierte Kriminalität
• Postkommunistischer Raum
• Proliferation/Rüstung
• Religion und Politik
• Russland
• Sub-Sahara-Afrika
• Südostasien
• Terrorismus
• Transatlantisches Verhältnis
• Umwelt
• Weltwirtschaft
ISBN 978-3-89892-614-0
Von: http://www.fes.de/kompass2020/pdf/Zentralasien.pdf
Tengri alemlerni yaratqanda, biz uyghurlarni NURDIN apiride qilghan, Turan ziminlirigha hökümdarliq qilishqa buyrighan.Yer yüzidiki eng güzel we eng bay zimin bilen bizni tartuqlap, millitimizni hoquq we mal-dunyada riziqlandurghan.Hökümdarlirimiz uning iradisidin yüz örigechke sheherlirimiz qum astigha, seltenitimiz tarixqa kömülüp ketti.Uning yene bir pilani bar.U bizni paklawatidu,Uyghurlar yoqalmastur!
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