Hamburg/Stockholm - Der Nobelpreis für Literatur geht in diesem Jahr an Mario Vargas Llosa. Das gab das schwedische Nobelpreiskomitee am Donnerstag in Stockholm bekannt.
Die Akademie würdigt damit den 74 Jahre alten Autor vor allem für seine Analyse der Machtstrukturen mit "messerscharfen Bildern".
Der Schriftsteller selbst habe "sehr gerührt und begeistert" auf die Zuerkennung des Preises reagiert. Das berichtete der Chef der schwedischen Nobel-Jury, Peter Englund, nach der Bekanntgabe der Entscheidung am Donnerstag. Vargas Llosa "ist über sehr lange Zeit einer der ganz Großen der lateinamerikanischen Literatur gewesen". Vargas Llosa habe angekündigt, dass er zur Preisverleihung am 10. Dezember nach Stockholm kommen wolle.
Vargas Llosa hält sich derzeit in New York auf. Die Zuerkennung des Literaturnobelpreises hielt er zunächst für einen Scherz: Er habe erst gedacht, es sei ein "perverser Witz", als er erfuhr, dass er nun Nobelpreisträger sei, zitiert ihn die chilenische Zeitung "La Tercera". Er sei von der Entscheidung völlig überrascht worden, sagte er der Madrider Zeitung "El Mundo": "Ich kann es immer noch nicht glauben."
Seine Frau habe früh am Morgen ein Telefongespräch entgegengenommen und ihrem Mann gesagt, sie habe nicht verstanden, was der Anrufer wollte. "Man rief mich bald darauf erneut an, und dann hat man mir gesagt, dass ich die Auszeichnung erhalten habe", berichtete Vargas Llosa.
Mario Vargas Llosa gehörte seit langem zu den Favoriten für den Nobelpreis, empfand sich selbst offenbar aber nicht mehr als hoffnungsvollen Kandidaten: "Schon seit mehreren Jahren war mein Name nicht mehr im Zusammenhang mit dem Nobelpreis genannt worden" zitiert ihn "El Mundo".
Der Schriftsteller wurde am 28. März 1936 im peruanischen Arequipa geboren. 1963 erschien sein erster Roman "Die Stadt und die Hunde", der auf eigenen Erfahrungen in der Kadettenanstalt Leoncio Prado in Lima beruht. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Tante Julia und der Kunstschreiber", "Lob der Stiefmutter", "Das böse Mädchen" und "Das Fest des Ziegenbocks". Zuletzt erschien 2009 der Essay "Die Welt des Juan Carlos Onetti". Sein 16. Roman "El sueño del celta" (Der Traum des Kelten) soll im November zeitgleich in Spanien, Lateinamerika sowie auf dem spanischsprachigen Markt der Vereinigten Staaten erscheinen.
Vargas Llosa erhielt bereits mit 27 Jahren Spaniens wichtigsten Literaturpreis. Er machte sich als Romancier, Novellist, Essayist, Kritiker und Journalist einen international geachteten Namen und wird zu den großen wegweisenden Romanciers der spanischsprachigen Welt gerechnet.
Die radikale Kritik an bestehenden Verhältnissen, überkommenen Traditionen und gesellschaftlichen Strukturen, verbunden mit einem ethisch begründeten leidenschaftlichen Ton, wiesen den jungen Autor als einen Rebellen und politischen Revolutionär aus. Die Erfahrungen mit zwei linken Diktaturen, die Entwicklung von Castros Kuba nach den ersten freieren Jahren, die linke Militärdiktatur in seiner Heimat sowie seine langen Aufenthalte in westeuropäischen Demokratien veranlassten Vargas Llosa später, linken Utopien abzuschwören. Als politisch engagiert galt der Literat spätestens seit Beginn seiner Kampagne gegen die Bankenverstaatlichung durch den linksnationalistischen Präsidenten Alan García im Jahr 1987.
"Literatur ist Feuer"
1989 bewarb er sich als Kandidat der oppositionellen Frente Democrático für die peruanischen Präsidentschaftswahlen und unterlag 1990 im zweiten Wahlgang. Daraufhin zog er sich aus der aktiven Politik zurück. Er lebt mit seiner Frau Patricia in London, Paris, Madrid und Lima.
Die wichtigste literarische Auszeichnung der Welt wird seit 1901 vergeben. Der schwedische Preisstifter Alfred Nobel hatte in seinem Testament bestimmt, dass derjenige den Preis erhält, "der in der Literatur das Ausgezeichnetste in idealistischer Richtung hervorgebracht hat". Das Werk soll von sehr hohem literarischen Rang sein und dem Wohle der Menschheit dienen.
ANZEIGEDie Auszeichnung ist mit zehn Millionen Kronen (1,09 Millionen Euro) dotiert und wird jeweils am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters, in Stockholm überreicht. Im Jahr 2009 war die Auszeichnung an die Deutsche Herta Müller gegangen.
Der letzte Träger des Literaturnobelpreises aus Südamerika war Gabriel García Márquez im Jahr 1982. Acht Jahre später erhielt der Mexikaner Octavio Paz den Preis.
Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz reagierte mit den Worten "Wir sind alle im Glück" auf die Bekanntgabe: "Es ist eine wunderbare Entscheidung", sagte sie auf der Frankfurter Buchmesse. "Er hat den Satz geprägt: 'Literatura es fuego' (Literatur ist Feuer) - und genauso sind seine Werke", schwärmte sie.
sha/dpa
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,721760,00.html
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Mario Vargas Llosa (gebürtig Jorge Mario Pedro Vargas Llosa; * 28. März 1936 in Arequipa, Südperu) ist ein spanisch-peruanischer Schriftsteller und Politiker. Er ist einer der führenden lateinamerikanischen Romanciers und Essayisten. Vargas Llosa bezeichnete sich im Jahr 2001 als liberalen Demokraten.[1] Im Jahr 2010 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt.[2]
Inhaltsverzeichnis [Verbergen]
1 Leben
2 Werk
2.1 Die Anführer und Die Stadt und die Hunde
2.1.1 Das Konzept der novela total
2.2 Das grüne Haus
2.2.1 Literarische „Desorientierungstechniken“
2.3 Gespräch in der „Kathedrale“
2.3.1 Verwendung originär peruanischer Idiome
2.4 Neuer Stil ab 1973
2.5 Kriminalromane
3 Auszeichnungen
4 Werke (Auswahl)
5 Verfilmungen
6 Literatur
7 Weblinks
8 Einzelnachweise
Leben [Bearbeiten]
Mario Vargas Llosa, 1985Die Eltern von Mario Vargas Llosa, die sich schon vor seiner Geburt trennten, sind der Rundfunkjournalist Ernesto Vargas Maldonado und Dora Llosa Ureta. Seine Mutter entstammt einer aus Spanien stammenden Mittelschichtfamilie. Nicht zuletzt wegen ihrer schwierigen Situation als alleinstehende Mutter übersiedelte sie mit ihren Eltern und ihrem damals einjährigen Sohn nach Cochabamba in Bolivien. Dort verbrachte Vargas Llosa seine Kindheit, absolvierte die Grundschule am katholischen Colegio La Salle. Unter der Regierung von José Luis Bustamante y Rivero wurde sein Großvater mütterlicherseits Präfekt in der nordperuanischen Stadt Piura, weshalb sich die gesamte Familie dort niederließ. 1946 lernte er seinen Vater kennen, worauf er zusammen mit seiner Mutter zu ihm nach Lima zog.
In Piura und Lima besuchte Vargas Llosa weiterhin Schulen der Salesianer Don Boscos,[3] bevor er auf Betreiben seines Vaters für zwei Jahre an eine Militärschule in Callao wechselte. Das letzte Jahr seiner Schulausbildung verbrachte er wieder in Piura, wo er, wie bereits zuvor in Lima, nebenbei in der Redaktion einer Lokalzeitung mitarbeitete und sein erstes Theaterstück Die Flucht des Inka zur Aufführung brachte.
Nach dem Schulabschluss begann Vargas Llosa in Lima gleichzeitig ein Jura- und Literaturstudium an der Hauptnationaluniversität San Marcos, wobei er nur letzteres abschloss. Seine schriftstellerische Betätigung nahm in dem Maße zu, wie seine Tätigkeit als Journalist nachließ.
In Lima heiratete er mit 19 Jahren Julia Urquidi Illanes, die um zehn Jahre ältere Schwester einer Schwägerin der Mutter. Die Ehe blieb kinderlos und wurde 1964 wieder geschieden. Mit dem Stipendium Javier Prado promovierte er in Philosophie und Literatur ab 1959 an der Universität Complutense Madrid. Im selben Jahr erhielt er für die Erzählungen Die Anführer den Leopoldo-Alas-Preis, ließ sich in Paris nieder und arbeitete zusammen mit seiner damaligen Frau für die französische Rundfunk- und Fernsehanstalt sowie als Journalist für die Nachrichtenagentur Agence France-Presse.
Erstes Aufsehen als Schriftsteller erregte Vargas Llosa mit dem Roman Die Stadt und die Hunde (La ciudad y los perros).
1965 heiratete er in Lima seine Cousine Patricia Llosa, die er an der Pariser Sorbonne kennen gelernt hatte und mit der er drei Kinder hat: Alvaro Vargas Llosa, Schriftsteller, Gonzalo und Morgana, Fotografin. Kurz nach der Heirat zog er mit seiner Frau nach Europa, wo er in Paris, London und Barcelona lebte. 1974 kehrte er nach Peru zurück und wurde im Fernsehen Leiter und Moderator eines politischen Programms.
Von anfänglich linken Positionen distanzierte sich Vargas Llosa ab den 1960er Jahren.[4] In den 1980er Jahren wandte sich Vargas Llosa der Politik zu, überraschte durch marktliberale Positionen, während die südamerikanischen Intellektuellen jener Zeit meist linksgerichtete Positionen bezogen. In seiner autobiographischen Schrift Der Fisch im Wasser – Erinnerungen schildert er diese Entwicklung vom Linken zum Neoliberalen.[5] 1986 kritisierte er in Bezug auf Gabriel García Márquez die seiner Ansicht nach einseitige und kritiklose Überbewertung des sozialistischen Modells durch einige lateinamerikanische Intellektuelle [6] mit folgenden Worten:
Daß ein Schriftsteller in dieser Weise den Führer eines Regimes beweihräuchert, in dem es viele politische Gefangene – darunter mehrere Schriftsteller – gibt, das eine rigorose intellektuelle Zensur praktiziert, nicht die mindeste Kritik duldet und Dutzende Intellektuelle ins Exil gezwungen hat, ist etwas, das mich, wie wir im Spanischen sagen, mit fremder Scham erfüllt.[7]
Im Fall Uchuraccay, der irrtümlichen Ermordung von acht Journalisten durch indianische Bauern, übertrug ihm der peruanische Präsident Fernando Belaunde den Vorsitz der Untersuchungskommission. Als die von der linksgerichteten Partei APRA gebildete Regierung unter Alan García Pérez 1987 das peruanische Bankenwesen verstaatlichen wollte, führte er den Protest dagegen an.
1990 bewarb sich Vargas Llosa um das peruanische Präsidentenamt. Nachdem er während des Wahlkampfes als Favorit gegolten hatte, sah er sich nach dem ersten Wahlgang in einer Stichwahl mit dem Außenseiter Alberto Fujimori konfrontiert, der die Wahl gewann.
Nach der verlorenen Wahl wandte sich Vargas Llosa wieder der Literatur zu und wurde Professor für lateinamerikanische Literatur an mehreren US-amerikanischen Universitäten. Er schrieb Essays für die spanische Tageszeitung El País. Später verließ er Peru und wechselte nach Madrid, wo er 1993 die spanische Staatsbürgerschaft erhielt und 1995 Mitglied der Real Academia Española (Königlich Spanische Akademie [für Sprache]) wurde. Zur Zeit lebt er in London.
Am 7. Oktober 2010 wurde bekanntgegeben, dass Vargas Llosa den Nobelpreis für Literatur 2010 „für seine Kartographie der Machtstrukturen und scharfkantigen Bilder individuellen Widerstands, des Aufruhrs und der Niederlage“ erhält.[8]
Seine Nichte ist die peruanische Filmregisseurin Claudia Llosa, sein Cousin der peruanische Filmregisseur Luis Llosa.
Werk [Bearbeiten]
Viele von Vargas Llosas Werken spielen in Peru und thematisieren dessen Gesellschaft. Er kritisiert häufig undemokratische und korrupte links- oder rechtsgerichtete Systeme, die niedrige Schwelle zur Gewaltbereitschaft, und die teilweise rassistische Klassenordnung in Peru und Lateinamerika. Spätere Werke spielen – da er nun durch vermehrte Reisetätigkeit als anerkannter Autor auch verstärkt Auslandserfahrungen sammelte – auch in anderen Ländern Lateinamerikas wie Brasilien oder der Dominikanischen Republik. Vargas Llosas Werk greift aber auch davon ausgehend universelle, über Lateinamerika hinausgehende Themen auf.
Sein Schaffen umfasst neben dem „Standardroman“ auch die Genres der Kriminalgeschichte, des Politischen Thrillers, des Historischen Romans, der Komödie, sowie Theaterstücke, Essays, politische Schriften und literaturwissenschaftliche Abhandlungen. Viele seiner Schriften haben autobiographischen Charakter.
Aufgrund der seinen Werken inhärenten, ideologieunabhängigen Kritik gegenüber allen antidemokratischen und die Menschenrechte missachtenden Regierungen setzte sich Vargas Llosa „zwischen alle Stühle“ und wurde sowohl von links- wie rechtsgerichteten Vertretern und Staaten seines Heimatlandes, in anderen lateinamerikanischen Staaten sowie zum Teil in der westlichen Öffentlichkeit scharf angegriffen. Dem stehen allerdings auch zahlreiche Ehrungen für sein Schaffen durch Organisationen gegenüber, die der Demokratie und dem Humanismus verpflichtet sind.
Die Werke Vargas Llosas werden in deutscher Übersetzung vom Suhrkamp Verlag herausgegeben. Einige davon und die in ihnen verwandten Motive und literarischen Techniken werden im Folgenden exemplarisch behandelt.
Die Anführer und Die Stadt und die Hunde [Bearbeiten]
In der Erzählsammlung (Die Anführer) Los jefes von 1959 und im Roman Die Stadt und die Hunde (La ciudad y los perros) von 1963, durch den er erstmals einem breiteren Publikum bekannt wurde, verarbeitet Vargas Llosa autobiographische Erfahrungen aus der Kadettenanstalt. In diesem Roman wird gezeigt, wie eine von einem Anführer, genannt Jaguar, autoritär angeführte Clique die Machtverhältnisse innerhalb der Kadettenanstalt regelt. Ein Mitschüler, der den Diebstahl eines Examenstextes aufdeckt, wird erschossen, und andere an der Aufklärung interessierte Personen werden durch Druck zum Schweigen gebracht. Die Welt der Kadettenanstalt erweist sich hier als paradigmatisch für durch Machismo, Machtkämpfe und Großspurigkeit geprägte Gesellschaftsstrukturen, in der der Stärkere sich in mafiaähnlichen Strukturen durchsetzt. Das Buch wurde 1964 in Lima öffentlich verbrannt. In Die jungen Hunde. Schwanz Cuellar (Los cachorros. Pichula Cuellar) von 1967 beschreibt Vargas Llosa Frustration als Resultat eines sozialen Determinismus, dessen Kompensation durch waghalsiges Machogehabe und den letztendlich scheiternden Versuch sozialer Integration.[9]
Das Konzept der novela total [Bearbeiten]
Die Werke von La ciudad y los perros bis Conversaciones en La Catedral von 1969 sind geprägt von Vargas Llosas eigener Literaturtheorie des totalen Romans (novela total oder totalizante), nach welcher dieser das nicht bescheidene Ziel verfolgen solle, ein möglichst vollständiges, mimetisches Abbild der Realität zu schaffen, welches alle Facetten der Wirklichkeit abbilde und damit eine autonome und selbstständige Welt bilde. Vargas Llosa sieht dies in Tolstois Krieg und Frieden, Thomas Manns Zauberberg, sowie im von ihm bewunderten Ritterroman Tirant lo Blanc von Joanot Martorell verwirklicht.[10] Als wesentliches Kriterium des Totalen Romans kann dabei die Darstellung der Zersplitterung der früher vorgeblich einheitlich wahrgenommenen Welt und die Erarbeitung einer künstlerischen, einheitsstiftenden Synthese gesehen werden. Lateinamerikanische Vorläufer von Vargas Llosas Konzept des Totalen Romans waren dabei Ciro Alegría und José María Arguedas.[11]
Das grüne Haus [Bearbeiten]
Sein 1965 erschienener Roman Das grüne Haus (La casa verde) gewann 1967 den Literaturpreis Premio Internacional de Novela Rómulo Gallegos und wird von einigen Kritikern, wie zum Beispiel dem auf lateinamerikanische Literatur spezialisiertem Gerald Martin, als Vargas Llosas wichtigstes Werk und einer der bedeutendsten lateinamerikanischen Romane überhaupt angesehen.[12] Das grüne Haus kann als „Vargas Llosas komplexestes Werk gesehen werden, in dem die spezifisch lateinamerikanische Lebenserfahrung des Autors am reichsten Gestalten und Geschichten hervorgetrieben hat“. [13] In diesem Roman werden fünf kunstvoll parallel geführte Handlungsstränge, in denen Personen und Motive zum Teil aufeinander bezogen sind, zu einem Ganzen zusammengeführt. Fragmente der fünf Handlungsstränge werden in den einzelnen Kapiteln zunächst systematisch und später sporadisch aneinandergefügt, so dass sich der Eindruck einer Simultanbühne mit fünf Stücken ergibt. Der Schauplatz einer vom Urwald geprägten, steinzeitlich wirkenden und dünn besiedelten Amazonasregion mit Missionsstation und einer Garnison kontrastiert mit einer europäisch beeinflussten Kleinstadt an der Küste mit Oberschicht, Kleinbürgertum, Elendsvierteln und dem außerhalb liegenden Bordell namens casa verde. Die Handlungsstränge umfassen einen Zeitraum vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre:
Die Missionsstation und das Schicksal eines geraubten, missionierten und später verstoßenen Indiomädchens namens Bonifacia, welches später im Bordell casa verde arbeitet.
Die Geschichte des japanischen Abenteurers Fushia, der sich ein Urwaldimperium errichtet hat.
Das Schicksal des reichen Begründers des Bordells casa verde, Don Anselmo, und seiner Tochter Chunga.
Die Machenschaften der Kautschukhändler, die Indios und Soldaten gleichermaßen zum Spielball ihrer Interessen machen.
Die Beschreibung von vier Stammgästen des Bordells, den Unbezwingbaren, und der Beziehung ihres Anführers Lituma zu der Prostituierten Bonifacia (in diesem Handlungsstrang meist Selvatica genannt).
Literarische „Desorientierungstechniken“ [Bearbeiten]
Anhand der Entstehung von La casa verde beschrieb Vargas Llosa 1971 in Historia secreta de una novela seine Techniken und Vorstellungen in Bezug auf die Form des Romans. Er ziele darauf ab, beim Leser dieselbe Desorientierung hervorzurufen, die auch die Sinnsuche der Romanfiguren charakterisiere. Dafür setze er Techniken ein wie die Fragmentierung der Handlung, die bewusste Verwendung von Handlungslücken, die plötzliche und unvorbereitete Einführung neuer Situationen, das Einfügen von Fragmenten anderer Erzählungen,[14] die Ineinanderschachtelung bzw. Verschränkung von Rahmenerzählungen, mythische Elemente, sowie die Verschiebung, Überblendung und Vermischung von Erzählperspektiven.[15]
Gespräch in der „Kathedrale“ [Bearbeiten]
Das 1969 erschienene Gespräch in der „Kathedrale“ (Conversación en la catedral) ist Vargas Llosas wohl komplexester Roman. Anhand eines Gesprächs von Santiago Zavala, des Sohnes eines Ministers, mit Ambrosio, dem ehemaligen Chauffeur seines Vaters, in der Bar La catedral werden mehr als 70 Einzelschicksale über einen Zeitraum von 14 Jahren beschrieben. Dabei repräsentiert Santiago, der die Wahrheit über die Verstrickungen seines Vaters in Machenschaften des diktatorischen Regimes von Manuel Apolinario Odría Amoretti herausfinden möchte, die Ohnmacht der lateinamerikanischen Intellektuellen. Der aus dem kriminellen Milieu stammende ehemalige Diener Ambrosio mit seiner gemischtrassigen Herkunft (seine Mutter ist indigen indianisch und sein Vater ein Schwarzer) steht für das „einfache Volk“. Vargas Llosa gelingt hier eine relativ umfassende Darstellung der peruanischen Gesellschaft, und er entwirft das Bild einer korrupten und unfähigen einheimischen Bourgeoisie.[16]
Verwendung originär peruanischer Idiome [Bearbeiten]
Vargas Llosa folgt in diesem wie auch anderen Romanen einer Tendenz der lateinamerikanischen Literatur – beispielsweise bei Cabrera Infante oder José Donoso -, die Protagonisten in der im jeweiligen Land gesprochenen Sprachvarietät und nicht der Hochsprache (hier Spanisch) direkt zu Wort kommen zu lassen. Hierdurch soll dem Leser ohne Intervention des Erzählers ein direkterer und authentischerer Eindruck der Personen und deren Lebenswirklichkeit, der Spontanität und Expressivität der wirklichen Sprache des Landes vermittelt werden.[17] Die hispanische Literaturwissenschaft diskutiert diese Tendenz auch in Bezug auf Vargas Llosa oft unter dem Terminus oralidad.
Neuer Stil ab 1973 [Bearbeiten]
Nach Conversación en la catedral rückt Vargas Llosa von seinem Konzept des Totalen Romans und teilweise auch von seinen bisherigen Themenschwerpunkten ab. Der Hauptmann und sein Frauenbataillon (Pantaleón y las visitadoras) von 1973 und das auch als Julia und ihre Liebhaber 1990 verfilmte Tante Julia und der Kunstschreiber (La tía Julia y el escribidor) von 1977 sind eher humoristisch und erotisch geprägte, leichter lesbare Texte.
Dennoch tauchen gesellschaftlich-politische Themen in Vargas Llosas Schaffen wieder auf. Die Schwierigkeit, in der modernen medialen Welt zwischen subjektiver Perspektive und objektiver Realität oder Fiktion und Fälschung zu unterscheiden, bilden ein neues, zentrales Thema seiner folgenden Werke. Im historischen Roman Der Krieg am Ende der Welt (La guerra del fin del mundo) von 1981 geht es um die Zerschlagung einer von Staat und gelenkter Presse zur nationalen Bedrohung hochstilisierten religiösen Sekte. Vargas Llosas durch die Zerschlagung des Prager Frühlings endgültig bedingte Abkehr vom Sozialismus hat eine verstärkte Kritik der Praktiken sozialistischer, lateinamerikanischer Regime und Terrororganisationen in seinen Werken zur Folge. Maytas Geschichte (Historia de Mayta) von 1984 beschäftigt sich zum Beispiel mit einem aus einer kommunistischen Gruppierung (wohl Sendero Luminoso) ausgeschlossenen Revolutionär, der danach als Eisdieleninhaber seinen Lebensunterhalt verdient. Auch hier ist die Schwierigkeit und Fragwürdigkeit der Rekonstruktion von Wahrheit durch aufwändige Reisen und Recherchen ein zentraler Topos.[18]
Kriminalromane [Bearbeiten]
In seinen beiden an das Genre des Kriminalromans angelehnten Werken Wer hat Palomino Molero umgebracht? (¿Quién mató a Palomino Molero?) von 1986 und Tod in den Anden (Lituma en los Andes) von 1993 eliminiert Vargas Llosa viele inhaltlich und sprachlich entbehrlichen Elemente.
In Wer hat Palomino Molero umgebracht? ist die Hauptfigur ein ermordeter mestizischer Soldat. Die geschilderten Nachforschungen ergeben nur, dass er nach seiner Flucht mit der Tochter eines Oberst von diesem anscheinend zu Tode gefoltert wurde. Auch hier bleibt, wie in vielen Werken Vargas Llosas ab den 1970er Jahren, die wirkliche Beziehung zwischen dem Oberst, der Tochter und dem Soldaten letztlich ungeklärt.
In Tod in den Anden von 1993 versuchen die beiden Polizisten einer abgelegenen Straßenbausiedlung, Korporal Lituma und sein Gehilfe Tomasio, das rätselhafte Verschwinden dreier Menschen aufzuklären. Der Roman ist von einer allgegenwärtigen Gewalt und Brutalität geprägt, ob von Seiten der Terroristen des Leuchtenden Pfades, der diese bekämpfenden Polizei, der Unterwelt einer Küstenstadt, den animistischen Vorstellungen und Riten der Indios und Bauarbeiter, oder der mit ihren Unwettern und Bergstürzen bedrohlichen Natur selbst. Dem Autor gelingt es, die aktuelle peruanische Gewaltbereitschaft und gesellschaftliche Verrohung mit vorkolumbianischen Opferriten zu verbinden und einen (zum Beispiel in den Figuren des Kantinenwirts Dionisio und seiner Frau personifizierten) dionysischen, über Peru und die heutige Zeit hinausweisenden Urgrund von Gewalt und Inhumanität anzudeuten. Vargas Llosa selbst interpretiert seinen Roman in einem Interview mit der Zeitschrift Der Spiegel von 1996 fast identisch.[19] Der Literaturkritiker Gustav Seibt rezensierte in der FAZ:
„Der Tod in den Anden ist ein strenges und lehrhaftes Buch, seine Sprache und Erzählweise sind so klar, hart und rätselhaft wie die Landschaft, in der es spielt.“[20]
http://de.wikipedia.org/wiki/Mario_Vargas_Llosa