Schwarz-Gelb ist knapp an einer Katastrophe vorbei geschrammt. Erst im dritten Wahlgang wurde ihr Kandidat Christian Wulff zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Er erhielt 625 Stimmen, Joachim Gauck bekam 494 Stimmen.
Der neugewählte Bundespräsident Christian Wulff (CDU) spricht am Mittwoch in Berlin im Reichstag in der 14. Bundesversammlung - Foto: ddp
Dritter Wahlgang
Christian Wulff ist neuer Bundespräsident. Die Mitglieder der 14. Bundesversammlung wählten den Kandidaten von Union und FDP am Mittwoch im dritten Wahlgang mit der absoluten Mehrheit von 625 Stimmen zum Staatsoberhaupt. Anders als in den ersten beiden Wahlgängen hätte auch eine relative Mehrheit ausgereicht. Sein Herausforderer Joachim Gauck erhielt 494 Stimmen. 121 Abgeordnete enthielten sich der Stimme, zwei Stimmen waren ungültig.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) teilte mit, dass Wulff seinen «sofortigen Rücktritt» als niedersächsischer Ministerpräsident erklärt habe und seinen Stellvertreter in Niedersachsen mit der Wahrnehmung seiner Aufgaben beauftragt habe.
Kanzlerin Merkel gratuliert Wulff zum Wahlsieg - Foto: ddp
Wulff nahm die Wahl an und bedankte sich in einer kurzen Ansprache «für das entgegengebrachte Vertrauen» der Wahlmänner und -frauen der 14. Bundesversammlung. Es sei eine Abstimmung «in freier und geheimer Wahl» gewesen, wie sie in den letzten Wochen immer wieder eingefordert worden sei. Er freue sich darüber, dass er im dritten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewählt worden sei.
Die Spitzen der Koalition haben sich erleichtert gezeigt, dass ihr Kandidat Christian Wulff im dritten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie glaube, dass Wulff das Land «wunderbar» vertreten werde. Wulff werde auf die Menschen zugehen und könne schwierige Situationen für das Land erklären. Er sei «genau der Richtige» in dieser Zeit.
FDP-Chef Guido Westerwelle bezeichnete Wulff als «Brückenbauer», der die Menschen zusammenführe. Der Vizekanzler zeigte sich erfreut, dass Wulff im dritten Wahlgang mit 625 Stimmen eine so eindeutige Mehrheit gefunden habe. Dies sei ein «eindeutiger Vertrauensbeweis».
CSU-Chef Horst Seehofer betonte, das Ergebnis sei am Ende «sehr gut». Wulff werde ein engagierter Anwalt bürgerlicher Interessen sein und könne einen großen Teil dazu beitragen, dass das Verhältnis zwischen Politik und Bevölkerung wieder «ein Stück besser» werde.
Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) nannte im TV-Sender Phoenix das Ergebnis im dritten Wahlgang «überzeugend». Dass Wulff hier die absolute Mehrheit erreicht habe, obwohl die relative Mehrheit gereicht hätte, sei wichtig. Deutschland bekomme einen «klasse Bundespräsidenten». Das würden auch die Menschen in wenigen Wochen erkennen.
Vor dem dritten Wahlgang
Die Linkspartei verzichtet im dritten Wahlgang der Bundesversammlung auf eine eigene Kandidatur und gibt die Abstimmung für ihre 124 Wahlleute frei. Auf eine Wahlempfehlung für den Präsidentschaftskandidaten von SPD und Grünen, Joachim Gauck, verzichtet die Linke aber, wie Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi am Mittwochabend nach längeren Beratungen in Berlin mitteilte. Vorangegangen war auch ein Gespräch der Spitzen der drei Oppositionsparteien.
Gysi sagte, er gehe davon aus, dass sich die meisten der Wahlleute der Linken im dritten Wahlgang enthalten würden. «Selbstverständlich gehe ich davon aus, dass beide konservativen Kandidaten für uns nicht wählbar sind», bekräftigte er mit Blick auf Gauck und den Koalitions-Kandidaten Christian Wulff (CDU). Damit kann eine Wahl Wulffs zum Staatsoberhaupt als sicher gelten.
Zweiter Wahlgang
Der Koalitionskandidat für das Bundespräsidentenamt, Christian Wulff, ist in der Bundesversammlung auch im zweiten Wahlgang gescheitert. Wulff erzielte am Mittwoch mit 615 Stimmen nicht die erforderliche absolute Mehrheit. Notwendig war eine Zustimmung von mindestens 623 der insgesamt 1239 abgegebenen Stimmen der Wahlmännern und -frauen. Die Bundesversammlung muss nun in einem dritten Wahlgang über den künftigen Bundespräsidenten entscheiden. Im dritten Wahlgang reicht die relative Mehrheit, um gewählt zu werden.
Neben Wulff standen der ehemalige Bürgerrechtler Joachim Gauck sowie die Linke-Kandidatin Luc Jochimsen zur Wahl. Die rechtsextreme NPD hatte den Liedermacher Frank Rennicke aufgestellt. Gauck erhielt im zweiten Durchgang 490 Stimmen, Jochimsen 123. Für Rennicke stimmten nur 3 Wahlmänner.
Erster Wahlgang
Der niedersächsische Ministerpräsident verfehlte nach Angaben von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die notwendige absolute Mehrheit von 623 Stimmen. Wulff fehlten im ersten Wahlgang am Mittwoch in Berlin 23 Stimmen. Er erhielt 600 Stimmen. Nötig ist nun ein zweiter Wahlgang. Der von SPD und Grünen aufgestellte Kandidat Joachim Gauck erhielt 499 Stimmen. Damit lag er um 39 Stimmen über der Delegiertenzahl des rot-grünen Lagers, das zusammen 460 Delegierte stellt. Auf die Linken-Kandidatin Luc Jochimsen entfielen 126 Stimmen; das waren zwei mehr, als es Delegierte der Linken gibt. 13 Delegierte enthielten sich, eine Stimme war ungültig.
Damit scheinen sich Befürchtungen in der Koalition zu bewahrheiten, dass Wulff wegen des schlechten Erscheinungsbildes der Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) möglicherweise einen Denkzettel verpasst bekommt.
Die Vorgeschichte
Schwarz-Gelb hat in der Bundesversammlung 644 Sitze - 21 Stimmen mehr als die absolute Mehrheit. Diese ist in den ersten beiden Wahlgängen erforderlich, anschließend reicht die einfache Mehrheit. Trotz zahlreicher Wackelkandidaten in den eigenen Reihen setzt Wulff auf seine Wahl bereits im ersten Durchgang. Sollte der 51-Jährige gewählt werden, wäre er der jüngste Bundespräsident in der deutschen Geschichte.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sieht der Wahl des Bundespräsidenten gelassen entgegen. Lammert, der auch Präsident der Bundesversammlung ist, sagte im ZDF-«Morgenmagazin»: «Ich habe keinen Zweifel daran, dass trotz der knappen Fristen alles perfekt vorbereitet ist.»
Der Vorsitzende der bayerischen Landtags-Fraktion der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, sagte im ZDF-«Morgenmagazin», die zehn Vertreter seiner Gruppe würden wohl geschlossen für den rot-grünen Kandidaten Gauck stimmen. «Wir werden Gauck wählen. Es kann sein, dass eine Stimme zu Wulff geht, aber die anderen sind für Gauck. Wir halten ihn für den besseren Kandidaten.» 2009 hatten sich die Freien Wähler auf Horst Köhler festgelegt und so Schwarz-Gelb bei der Wiederwahl des Bundespräsidenten entscheidend unterstützt.
Die Wahl des 10. Bundespräsidenten seit 1949 gilt auch als Bewährungsprobe für die schwarz-gelbe Bundesregierung, die in mehreren Sachthemen zerstritten ist. Ein Auseinanderbrechen der Koalition wird in der Regierung allerdings auch für den Fall einer Niederlage Wulffs ausgeschlossen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) appellierte noch einmal an die Wahlleute. «Wir haben morgen nicht mehr und nicht weniger zu tun, als unser Staatsoberhaupt zu wählen», sagte Merkel am Dienstagabend bei einem Empfang der CDU/CSU-Fraktion für die Wahlleute der Union.
FDP-Chef und Vizekanzler Guido Westerwelle rechnet innerhalb der von den Liberalen in die Bundesversammlung entsandten Wahlleute mit drei bis vier Abweichlern, aber dennoch mit einer «überragenden Mehrheit» für Wulff.
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sagte der «Passauer Neuen Presse»: «Es gibt zwei respektable Persönlichkeiten, die zur Wahl stehen. (...) Ich gehe davon aus, dass Christian Wulff der nächste Bundespräsident werden wird.»
Hauptkonkurrent Gauck hat nur eine reelle Chance, wenn im dritten Wahlgang viele Wahlleute der Linkspartei für ihn stimmen. Das ist wegen gravierender inhaltlicher Differenzen aufgrund seiner Rolle bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte und seiner Kritik an der Linken aber unwahrscheinlich. Die Linke, die Gauck für nicht wählbar erklärt hat, will ihr Verhalten bis zu einem dritten Wahlgang offen lassen.
In der Linken gibt es weiterhin unterschiedliche Signale, wie man sich bei möglichen weiteren Wahlgängen verhalten wird. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch plädierte dafür, die Entscheidung über ein mögliches Votum zugunsten des früheren DDR-Bürgerrechtlers Gauck im zweiten und dritten Wahlgang offen zu halten. «Wir werden im ersten Wahlgang Luc Jochimsen wählen», sagte er dem «Kölner Stadt-Anzeiger». «Danach werden wir jeweils neu beraten.»
Die Linken-Vorsitzende Gesine Lötzsch bekräftigte derweil ihre Ablehnung Gaucks. Sie sagte im ZDF-«Morgenmagazin», beim gestrigen Besuch Gaucks bei der Linken-Fraktion sei erneut deutlich geworden, dass es große Unterschiede gebe. «Wir haben gemerkt, dass unsere zentralen Fragen, Afghanistan und die Sozialpolitik, von ihm anders bewertet werden als von uns.» Zudem sei Gauck «ein Angebot an die CDU, und nicht an uns».
Die SPD-Führung zeigte sich erfreut über den Wirbel um Gauck und die Sympathien, die er seit seiner Nominierung in der Bevölkerung erworben hat, rechnet aber letztlich nicht mit einem Wahlerfolg. Die Erfolgsaussichten Gaucks seien angesichts des komfortablen Vorsprungs der Koalition «sehr überschaubar», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann. SPD-Chef Sigmar Gabriel signalisierte, dass seine Partei bei der nächsten Präsidentenwahl wieder mit einem unabhängigen Bewerber ins Rennen gehen könne. Gaucks Kandidatur habe gezeigt, dass solche Persönlichkeiten besonders gut Brücken zwischen Bürgern und Parteien bauen könnten.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) kritisierte das Vorgehen von Kanzlerin Merkel bei der Kandidatenkür. Er sagte im Deutschlandfunk, es habe die Chance gegeben, einen gemeinsamen Kandidaten von Regierung und Opposition zu nominieren. Merkel habe auf solche Angebote nicht reagiert. Merkel selbst sieht mit einem möglichen Präsidenten Wulff eine neue Ära beginnen. «Ich stell' mir das wunderschön vor, wenn ein Kinderlachen durch Schloss Bellevue geht, wenn's da ein bisschen zackiger zugeht», sagte die Kanzlerin beim Empfang der CDU/CSU-Fraktion für die Wahlleute der Union.
Im Fall seiner Wahl tritt der 51-Jährige als Ministerpräsident von Niedersachsen mit «sofortiger Wirkung» zurück. Dazu würde er die Amtsgeschäfte vorübergehend seinem Stellvertreter, FDP-Wirtschaftsminister Jörg Bode, übertragen. Nach der Wahl hält der Gewählte seine erste Ansprache als Bundespräsident. Das neue Staatsoberhaupt wird dann am Freitag in einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat vereidigt.