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Thursday, May 15, 2008

China rechnet mit mehr als 50 000 Toten - Halten die Staudämme?

Drei Tage nach dem verheerenden Erdbeben in China ist die Zahl der offiziell bestätigten Toten auf fast 20.000 gestiegen. Das berichtete die Provinzregierung von Sichuan am Donnerstag. Allerdings wurde befürchtet, dass die Zahl der tatsächlichen Opfer noch weit höher liegt. Inzwischen könnte sie nach Schätzungen der Regierung auf bis zu 50.000 steigen.

Für mehr als 20.000 Verschüttete schwinden mit jedem weiteren Tag die Überlebenschancen. Doch immer wieder gibt es Hoffnung: So konnte unter anderem nach 68 Stunden ein elfjähriges Mädchen lebend unter Trümmern geborgen werden. Bereits zuvor war nach 50 Stunden ein Mädchen in einer völlig zerstörten Schule gerettet worden.
Bilder: Verheerendes Erdbeben in China
Rund 100.000 Soldaten sind im Einsatz oder mobilisiert, um bei den Bergungsarbeiten zu helfen. Den Überlebenden drohte indessen neue Gefahr durch beschädigte Staudämme. Es gebe „ernsthafte Sicherheitsprobleme“ mit den Wasserspeichern, Wasserkraftwerken und Dämmen in der Erdbebenregion, sagte der Minister für Wasserreserven, Chen Lei, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete.
An mehr als 400 Staubecken im Land seien Sicherheitsprobleme aufgetreten. Dies habe eine Überprüfung von Wasserspeichern, Wasserkraftwerken und Dämmen in fünf Provinzen ergeben, berichtete das chinesische Fernsehen. Unter den gefährdeten Bauwerken seien auch „zwei wichtige“. Welche das sind, wurde zunächst nicht gesagt. Womöglich drohen jetzt unberechenbare Flutwellen, wenn die Dämme brechen.

Regierungschef Wen Jiabao entsandte weitere Hundert Hubschrauber. Über den schwer zugänglichen Orten im Erdbebengebiet der Provinz Sichuan sprangen Fallschirmspringer ab. Tonnenweise wurden Hilfsgüter abgeworfen. Rund 65.000 Menschen sind verletzt worden, davon mehr als 10.000 schwer, wie chinesische Medien berichteten.

China erlaubte einem japanischen Rettungsteam, nach Sichuan zu reisen. Auch wurde das Angebot Taiwans, Bergungsspezialisten zu schicken, angenommen. Zwei russische Frachtflugzeuge brachten bereits tonnenweise Hilfsgüter in die Provinzhauptstadt Chengdu. Eine groß angelegte Hilfsaktion ist angelaufen. Es mangelt den Überlebenden an Trinkwasser, Nahrung, Medikamenten und Zelten. Einige zehntausend Obdachlose verbrachten die dritte Nacht unter Planen und notdürftig gezimmerten Unterständen im Freien.

Der Minister für Wasserressourcen, Chen Lei, sprach in Peking von einer „ernsten Gefahr“ durch beschädigte Staudämme. Viele der Wasserreservoirs in Sichuan wiesen „erhebliche Schäden“ durch das Erdbeben auf. Diese seien bislang unbekannt gewesen. Es sei nötig, die potenziellen Gefahren zu ermitteln, sagte der Minister laut Nachrichtenagentur Xinhua. Dies sei entscheidend, um weitere Katastrophen zu verhindern. „Dammbrüche können zu massenhaft Opfern führen, wenn die Inspektionen und die Rettungsarbeiten nicht rechtzeitig erfolgen“, warnte auch sein Vizeminister laut „China Daily“. Im Landkreis Maoxian waren zwei Staudämme so „schwer beschädigt“, dass Evakuierungen angeordnet wurden.

Oberhalb der Stadt Beichuan, wo noch tausende Verschüttete unter Trümmern liegen, wurde der Jianjiang-Fluss durch einen großen Erdrutsch blockiert. Das Wasser staute sich an der Barriere aus Geröll und Felsen zu einem See, so dass eine Flutwelle befürchtet wurde. „Wenn die Blockade im Fluss bricht, wird eine Flutwelle die Stadt überschwemmen“, warnte ein Experte in chinesischen Medien. „Die Verschütteten würden alle umkommen.“ Das Seismologische Amt in Sichuan berichtete, Experten seien zu der Stelle gefahren, um die Bedrohung einschätzen zu können. Die Bergungsarbeiten in der Stadt wurden am Donnerstag trotz aller Gefahren fortgesetzt.

Durch das Erdbeben kamen auch rund 50 chinesische Touristen ums Leben. Zwei Reisende aus Taiwan wurden ebenfalls getötet, darunter ein dreijähriges Kind. Ein 56-Jähriger, der in einer Seilbahn feststeckte, stürzte bei einer Rettungsaktion 50 Meter in den Tod. Ein Deutscher, der in der Stadt Deyang im Erdbebengebiet lebte, starb „an einer natürlichen Krankheit“, wie das Außenministerium erläuterte.

Mehr als 3000 Reisende, darunter rund 700 ausländische Besucher, wurden aus den zwei beliebten Tourismusregionen Jiuzhaigou und Wolong in die Provinzhauptstadt Chengdu in Sicherheit gebracht. Das Militär flog 33 Touristen aus Großbritannien, den USA und Frankreich mit einem Hubschrauber vom Panda-Reservat in Wolong nach Chengdu. Das Naturreservat lag nur 30 Kilometer vom Epizentrum des Erdbebens der Stärke 7,8 am Montag entfernt. Auch alle 86 Riesenpandas in Wolong haben die Erdstöße unbeschadet überstanden.

Angesichts der vielen Verschütteten wiesen Experten darauf hin, dass der Mensch nach einer medizinischen Faustregel in der Regel nur drei Tage ohne Wasser auskommen kann. Unter Stein- und Schuttmassen begraben könne die Angst den Stoffwechsel ankurbeln und die körpereigenen Reserven noch schneller aufbrauchen.

Noch gefährlicher ist die Situation für Kinder. In den Trümmern von mindestens neun Schulen waren hunderte Schüler begraben worden. In der Vergangenheit konnten allerdings mitunter Verschüttete noch nach einer Woche und später lebend geborgen werden.
Welt-Online, 15.05.2008
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